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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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mehr zu begehen.«
    »Was für eine Sünde?«
    »Als ob du das nicht wüsstest«, versetzte T. ganz leise.
    Axinja hielt sich prustend die Hand vor den Mund.
    »Was ist denn das für eine Sünde, Ljowa? Da hast du dir was ausgedacht.«
    »Das habe nicht ich mir ausgedacht, sondern … Aber du verstehst das sowieso nicht. Nimm es mir bitte nicht übel.«
    Axinja aber dachte gar nicht daran.
    Sie lächelte und T. sah in ihren Augen die wohlbekannten grünen Funken. Sofort fiel ihm das Kopftuch auf dem blonden Schopf ein, der zarte Hals über dem verwaschenen roten Sarafan.
    »Eigentlich«, überlegte er, »erkennt man trotz all dieser Petersburger Politur doch noch das lachlustige Dorfmädchen aus Kowrow …«
    »Ich verstehe nicht?«, fragte Axinja spöttisch. »Ach was! Den Finger abhacken, um keine Sünde mehr zu begehen … Was machst du denn damit, das niemand begreifen kann?«
    T. spürte, wie sein Herz stockte.
    »Jetzt ist Mitjenka angerollt. Nur gut, dass ich das sofort erkenne. Den klaren Blick habe ich noch nicht verloren. Und nun?«
    »Was ist, sagst du’s jetzt oder nicht?«, fragte Axinja, dieses Mal in einer einwandfreien Imitation vulgärer Aussprache.
    Sie blickte ihn immer freimütiger an und in ihren Augen lag das verschlagene, unergründliche, jahrtausendealte Rätsel, für das es nach der treffenden Beobachtung von Nietzsche keine andere Lösung als die Schwangerschaft gibt.
    »Willst du es wissen?«, fragte T. mit plötzlich heiserer Stimme.
    Axinja nickte.
    »Gehen wir, ich zeige es dir …«
    »Und Alexis?«, flüsterte Axinja. »Womöglich kommt er zurück?«
    »Nein«, erwiderte T. ebenfalls flüsternd. »Er bleibt lange weg, praktisch für immer.«
    »Gut«, hauchte Axinja. »Aber Ljowa …«
    »Was?«
    »Das soll unser Abschied sein …«
    * * *
    T. lag auf dem Rücken und blickte an die Decke des Schlafzimmers. Axinja hatte sich neben ihm zusammengerollt, fuhr mit der Spitze ihres purpurroten Nagels über seine Wange, kitzelte ihn und wickelte seine Barthaare um den Finger – das ziepte und war gleichzeitig angenehm. Mit der anderen Hand hielt sie ihr Nachthemd gegen die Brust gedrückt.
    »Warum verhüllt sie ihren Körper?«, dachte T. »Ist er schon schlaff geworden? Vielleicht durch eine Geburt verunstaltet? Aber selbst mit Hilfe von zwei Stenotypistinnen hätte sie kaum so schnell ein Kind gebären können … Letztes Mal hat sie sich anders verhalten. Aber da war sie auch eine andere, ein unschuldiger, heller Teil des Frühlings – gerade das hat mich gereizt. Die Stadt aber hat ihr das alles genommen … Oder war es nicht die Stadt? Egal wer. Die Frauen in ihrer Verblendung denken immer, sie seien in der Lage, dieses flüchtige Aufblühen der Natur zu ersetzen, indem sie sich mit Pomade und weißer Schminke bestreichen, mit Pariser Parfüm besprühen und mit Gold behängen … Lächerlich. Nur dass es nicht zum Lachen, sondern eher zum Weinen ist, denn sie handeln notgedrungen so, weil die Lüsternheit der Männer und die übelriechende Kloake der Stadt es verlangen, anstatt dass sie freudig auf dem Feld arbeiten können …«
    T. seufzte.
    »Na, dazu wird sie bei Olsufjew Gelegenheit genug haben. Aber warum bedeckt sie sich? Stopp, nicht schlafen … Offenbar will Ariel das Zielpublikum bis fünfzehn nicht verlieren. Deshalb verhüllt sie auch ihre Titten. Oh Gott, wie soll man leben in deiner Welt? Aber was für ein ›Gott‹ eigentlich …«
    T. seufzte wieder.
    »Was seufzst du so schwer, Ljowa?«, fragte Axinja. »Liegt dir etwas auf der Seele? Sag es mir, dann wird dir leichter.«
    »Hm«, machte T. »Sammelst du Material für ein Buch?«
    »Wieso?«, lächelte Axinja. »Ich interessiere mich einfach dafür, wie du lebst und wie du die Welt siehst.«
    »Das verstehst du ohnehin nicht. Und wenn doch, dann bist du beleidigt. Oder du glaubst es nicht.«
    »Versuch’s doch mal«, sagte Axinja. »Du brauchst gar nicht denken, dass ich dumm bin. Alexis hat an mich geglaubt und das Resultat siehst du ja.«
    »Alexis?« T. zog verächtlich die Augenbrauen hoch. »Der hat damit nichts zu tun. Wahrscheinlich hat man Mitjenka im Literaturkurs erklärt, dass die Heldin eine Entwicklung durchmachen muss.«
    »Wer ist Mitjenka?«
    »Der, der dich ausgedacht hat«, antwortete T. »Vielmehr nicht dich, sondern erotische Szenen unter deiner Beteiligung. Du bist für ihn bloß eine sprechende Dekoration.«
    Axinja schüttelte den Kopf.
    »Das hört sich dermaßen gemein an«, sagte sie,

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