Tolstois Albtraum - Roman
»dass ich zu faul bin, darüber nachzudenken, wie dumm es ist.«
»Und trotzdem ist es so. Dass du aus meinem Leben verschwunden bist, geschah nur deshalb, weil Mitjenka zu viel zu tun hatte und seine Kraft nicht mehr für uns eingesetzt hat, sondern für eine widerliche Alte, die … Na ja, ich will das nicht weiter ausführen, du glaubst es sowieso nicht. Unsere heutige Vereinigung war deshalb so kurz und farblos, denke ich, weil sie den Content filtern.«
»Jetzt ist alles klar«, lächelte Axinja. »Nimm es dir nicht zu Herzen, Ljowa. Jeder Mann kann mal Pech haben, das ist keine Schande. Du bist übernervös, hast zu viel schlechten Wodka getrunken. Mach dir um mich keine Sorgen, für diese Art Beschäftigung habe ich immer Alexis Olsufjew zur Hand.«
T. verzog das Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen.
»Du kannst reden, was du willst«, sagte er. »Aber Olsufjew gibt es in Wirklichkeit nicht. Vielmehr ist er nur eine verblichene Vignette, ein verstaubtes Ornament der Leere am Rand meines aussichtslosen Wegs nach Optina Pustyn …«
Axinja machte große Augen, riss Notizblock und Bleistift vom Nachttisch und kritzelte hastig etwas aufs Papier.
»Ich würde ja gerne wissen«, sagte T. mit finsterer Miene, »was du da schreibst.«
Axinja gab keine Antwort. Sie schrieb zwei Seiten voll, legte den Notizblock zurück, stand auf und ging zum Spiegeltisch, wobei sie sich mit dem zerknüllten Nachthemd bedeckte. Sie holte ein Foto, kehrte zum Bett zurück und hielt es T. hin.
»Was ist das?«
»Eine Fotografie«, erwiderte Axinja. »Das bin ich mit Alexis, den es, wie du behauptest, gar nicht gibt. Er schreibt übrigens Gedichte. Schöne und für einen Gardisten höchst merkwürdige Gedichte. Der Tag ist weiß, es blüht der Phlox – und dennoch: omnes una manet nox . Das ist aus den Oden des Horaz und heißt, uns alle erwartet eine Nacht …«
»Aber warum Nacht?«, sagte T. »Vielleicht ist nicht alles so finster …«
Axinja trug auf der Fotografie die Kleidung der Barmherzigen Schwestern, die ihr gut stand, auch wenn sie reichlich Schminke im Gesicht hatte, was ihr etwas Südländisches verlieh. Sie blickte romantisch verträumt ins Weite – oder es schien nur so wegen der stark geschminkten Augen. Olsufjew trug einen weißen Rock und eine hohe Pelzmütze – dem Stempel über der Linie der gemalten Berge nach zu urteilen, stammte die Aufnahme aus einem Petersburger Foto-Atelier.
»Hier sieht er aus wie ein Falschspieler«, bemerkte T.
Axinja lächelte süß.
»Was ist mit dir, Ljowuschka? Bist du eifersüchtig?«
»Ach was«, brummte T. und wandte den Blick ab. »Das fehlte noch. Sag, hat Alexis nie über Solowjow gesprochen?«
Axinja überlegte.
»Er hat ihn einmal erwähnt. Er sagte, der sitzt in der Peter-und-Paul-Festung.«
»Weswegen wurde er angeklagt?«
»Hochverrat«, erwiderte Axinja. »Eine ziemlich merkwürdige Geschichte. Alexis hat gesagt, man halte Solowjow zu seinem eigenen Besten in der Festung gefangen. Aber in der Gesellschaft hält sich hartnäckig das Gerücht, dass er schon tot ist. Manche sagen auch, er war ein schlimmerer Verbrecher und Mörder als du, Ljowa …«
T. betrachtete noch einmal die Fotografie, seufzte schuldbewusst, gab sie Axinja zurück und stand auf.
»Zieh dich an«, sagte er. »Ich warte im Salon auf dich. Ich will dir etwas zeigen.«
»Was denn?«
»Es gibt neues literarisches Material.«
Ein paar Minuten später erschien Axinja verdrossen und skeptisch, aber mit einem Notizblock in der Hand im Salon und trat zur offenen Balkontür, wo T. stand.
»Eigentlich wollte ich mich verabschieden«, sagte T. »Alexis kommt bald wieder und du wirst allerlei Interessantes hören.«
»Worauf willst du hinaus?«
T. trat auf den Balkon und drehte sich so, dass er mit dem Rücken zur Fontanka stand.
»Ich will dir nicht die Laune verderben«, erwiderte er. »Aber dein Leben wird sich ändern. Aus meiner Sicht zum Besseren.«
»Hör auf, in Rätseln zu sprechen.«
»Das Rätseln ist vorbei«, sagte T. und packte das Seil. »Behalt mich so in Erinnerung, wie du mich jetzt siehst. Da ich mittlerweile eine Vorstellung von deinem Stil habe, könnte ich sogar deiner Stenotypistin diktieren: ›… Ich sehe noch seine muskulöse Gestalt, die am Seil hochkletterte und das Dach erklomm. Ein paar kräftige, geschickte Bewegungen, und das Bein in dem schwarzen Lederstiefel schwang sich auf das abschüssige Dach. Bald befand sich sein großer, mir so vertrauter
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