Tolstois Albtraum - Roman
anlief.
»Schreibst du etwa selbst? Wie ist das möglich – ich bin kaum in Petersburg angekommen, und du willst schon zwei Bücher geschrieben haben? Du hättest doch nicht mal eines zustande gebracht.«
»Ich diktiere«, sagte Axinja. »Ich habe zwei Stenotypistinnen. Das Ganze wird von Schreibkräften ins Reine geschrieben, während ich schon am nächsten Kapitel arbeite. So schafft man ein Buch pro Woche und ist überhaupt nicht erschöpft.«
Sie lächelte strahlend.
T. senkte den Blick, sah seine Bartzotteln und seine nervös zitternde, zerkratzte Hand auf dem Knie – und empfand plötzlich eine unerträgliche Abscheu sich selbst gegenüber. Offenbar spiegelte sich etwas davon in seiner Miene, denn Axinja stieß erschrocken hervor:
»Ljowa, sei nicht böse!«
»Das ist ein bisschen viel verlangt«, sagte T., »wenn du … Warum hast du den Zeitungen erzählt, ich hätte dich mit der Axt umbringen wollen?«
Axinja riss die Augen auf.
»Weil es die Wahrheit ist. Erinnerst du dich etwa nicht? Wie ich in den Wald geflohen bin?«
»Doch«, erwiderte T. finster. »Bloß muss es nicht ›geflohen‹ heißen, sondern ›gelaufen‹. Das Wort ›geflohen‹ setzt voraus, dass du in Gefahr warst.«
»War ich ja auch«, widersprach Axinja. »Als ich aufstand und mein Kopftuch zurechtrückte, erschrak ich furchtbar, als ich deine Hände im Heu herumtasten sah und deine Augen, in denen der Drogenwahn stand …«
»Was für ein Drogenwahn?«
»Weißt du das nicht mehr? Du hast doch mit dem Pferd gesprochen. Ich sehe immer noch seine brennenden schwarzen Augen, die es auf einen Punkt oberhalb deines Kopfs gerichtet hatte, als ob es von deinem Wahnsinn angesteckt wäre.«
»Jetzt weiß ich auch, was du in deinen Schundromanen schreibst«, murmelte T. vor sich hin. »Ich habe mit einem Pferd gesprochen, ja. Das macht jeder Husar tagtäglich, und nicht nur das. Aber ich wollte dich nicht umbringen, das ist gelogen. Ich wollte einen Finger abhacken. Und zwar nicht dir, sondern mir.«
»Das hast du gesagt, ich weiß«, sagte Axinja gelassen. »In meinem letzten Buch gibt es zwei ganze Kapitel darüber.«
»Wie bitte? Wie kann man denn darüber zwei Kapitel schreiben?«
»Ich habe versucht, in deine innere Welt einzudringen, dem Leser den möglichen Sinn deiner Handlungen zu enthüllen.«
»Und was hast du da enthüllt?«
»Willst du das wirklich wissen?«
»Natürlich.«
Axinja machte es sich auf dem Sofa bequem und begann, in der deutlichen Artikulation eines Menschen, der oft und viel vor Menschen spricht:
»Meine Vermutung war, Ljowa, dass die Exkommunikation dich moralisch verstümmelt hat. Du hast Betäubungsmittel genommen, dich für östliche Kulte interessiert und eine Gebetsbeziehung zu den Teufeln aufgenommen. Im Drogenwahn haben dir diese Teufel weisgemacht, sie seien helle, geistige Wesen und die echten Schöpfer dieser Welt …«
»Was hat das alles mit dem Finger zu tun?«, fragte T.
»Warte«, sagte Axinja, »das hängt alles zusammen. Ich versuche, eben diesen Zusammenhang aufzuzeigen – also gedulde dich. Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder war das Pferd von den Teufeln besessen und sie sprachen in seiner Gestalt mit dir, während du in deiner Arroganz dachtest, du besäßest die Gabe des Umgangs mit der stummen Kreatur wie die heiligen Einsiedlermönche. Oder du warst selbst von den Teufeln besessen, die dir vorgaukelten, das Pferd rede mit dir, während es friedlich sein Gras rupfte.«
»Wer hat dir denn diesen Unsinn aufgeschwatzt?«
»Nicht aufgeschwatzt, sondern erläutert. Ich habe diese Frage mit einem Geistlichen besprochen, der sich mit der Vertreibung böser Geister beschäftigt. Er heißt Vater Empedokles.«
»Aha«, bemerkte T. »Verstehe. Aber trotzdem – was hat das alles mit dem Finger zu tun?«
»Folgendes«, erwiderte Axinja. »Unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln und vom Umgang mit den Teufeln hast du allmählich eine unkritische Haltung gegenüber den Kenntnissen fremder kulturell-religiöser Traditionen entwickelt. Und zu diesen Kenntnissen gehörte, wie Vater Empedokles und ich nachweisen konnten, auch eine Geschichte, die deine Fantasie beeinflusste.«
»Ich verstehe nicht, wovon du redest.«
»Das war die Legende von dem chinesischen Weisen, der zur Antwort auf alle Fragen nach der Einrichtung der Welt und der Natur des Menschen nur schweigend einen Finger hob. Bei jedem normalen Menschen würden natürlich alle denken, er ist ein Idiot. Aber jeder
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