Tolstois Albtraum - Roman
Menschen gedacht sind, geben einem anderen gar nichts. Wörter leben nur eine Sekunde, sie sind genauso eine Einwegware wie … ehem … ein condom , nur umgekehrt – ein condom trennt sozusagen für einen Augenblick, Wörter hingegen verbinden für einen Augenblick. Aber gehörte Wörter aufzubewahren ist genauso dumm, als bewahrte man ein benutztes … Sie verstehen, meine Herren.«
Dschambon sprach condom mit französischer Aspiration aus, was sofort erkennen ließ, dass hier von etwas höchst Lasterhaftem und Fragwürdigem die Rede war.
»Sagen Sie«, fing der Journalist wieder an, »glaubte Solowjow an Gott?«
»Aber sicher«, erwiderte Dschambon. »Nur ist nicht belegt, dass er unter diesem Wort dasselbe verstand wie Sie.«
»Und glaubte er an den Teufel? Den Feind der Menschheit?«
»Der Teufel – das ist der Geist. ›Intellekt‹, ›Vernunft‹, ›Satan‹, ›Vater der Lüge‹ – all das sind nur andere Beinamen für ihn.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ich könnte mich auf die Bibel berufen«, sagte Dschambon. »Aber man kann es auch so erklären. Erstens ist der Geist hässlich. Alle Missgestalt, alle Unvollkommenheit der Welt hat er erfunden. Zweitens hat der Geist sich gegen den Gott erhoben, den er zuvor erdacht hatte, und sich damit jede Menge Probleme geschaffen. Drittens ist der Geist seiner Natur nach nur ein Schatten, dem direkten Blick hält er nicht stand, dann verschwindet er sofort. In Wirklichkeit gibt es ihn nicht – er ist nur ein Scheinbild in der Dämmerung. Daher braucht er unbedingt das Halbdunkel, sonst hat er keinen Platz zum Wohnen.«
»Wie können Sie über die Vernunft herfallen, wo sie doch das Licht der Menschheit ist!«, blökte der professoral aussehende Herr empört. »Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer!«
»Gewiss«, stimmte Dschambon zu. »Sehr richtig gesagt. Die Vernunft ist eine Spielart des Schlafs. Es gibt beispielsweise den Schlaf des Todes. Und es gibt den Schlaf der Vernunft, der Ungeheuer gebiert. Aber daran ist nichts Schlimmes – beim Erwachen verschwinden sämtliche Ungeheuer zusammen mit der Mutter, die sie geboren hat.«
»Gestatten Sie«, mischte sich der Herr mit der gelben Krawatte ein, »aber Solowjow hat in meinem Beisein gesagt, dass gerade der Geist die ganze Welt erschafft.«
»Deshalb mögen wir ihn ja auch nicht«, bemerkte Dschambon trocken.
»Was heißt das, der Geist erschafft die Welt?«, empörte sich der Journalist, an die gelbe Krawatte gewandt. »Der Geist produziert Gedanken. Und die Welt um uns herum besteht, wie wir sehen können, aus Dingen.«
»Dinge sind auch Gedanken«, sagte Dschambon. »Nur halten sie sich länger und sind allen gemeinsam.«
»Aber warum sagen Sie, der Geist ist hässlich?«
»Sie sind doch Journalist. Schlagen Sie eine beliebige Zeitung oder Zeitschrift auf und lesen Sie fünf Minuten.«
Aus irgendeinem Grund wirkte dieses Argument – der Journalist mit dem Walrossbart nickte mürrisch, warf einen Blick in sein Notizbüchlein und erinnerte sich offenbar an eine Frage, die er hatte stellen wollen.
»Sagen Sie, meine Herrschaften«, begann er, »hat denn niemand die Geschichte des Bankiers Pawel Petrowitsch Kail gehört? In der Zeitung stand, er habe Staatsgelder entwendet, nachdem er von einem Anhänger Solowjows mesmerisiert worden sei. Was in der Zeitung steht, glaubt natürlich kaum jemand, aber es gibt wohl keinen Rauch ohne Feuer?«
Einige Leute fingen an zu lachen. Der eine oder andere verzog das Gesicht, als wollte er damit sagen, dieses Thema sei ein alter Hut und man habe es schon satt.
»Ja«, bemerkte die Dame mit der Kamelie. »Diesen Bankdirektor gab es tatsächlich. Glauben Sie, man weiß nicht, ob man darüber lachen oder weinen soll. Er war jedenfalls ein paar Mal hier, hat uns zugehört und dann ist er aus heiterem Himmel verrückt geworden. Bei ihm in der Bank gab es damals eine Unterschlagung, aber er konnte sie ziemlich lange vertuschen. Geschnappt wurde er, weil er den Bestand an Goldmünzen aus dem Safe gestohlen hatte, eine relativ kleine Summe, wenn man es mit dem Rest vergleicht. Das Geld wurde nie gefunden. Beim Verhör erklärte er dann, er kenne jetzt einen Weg, wie er mit dem Gold die Wahrheit befördern könne. Dabei kicherte er die ganze Zeit so eigenartig, wissen Sie. Und dann ging er hin und hat sich umgebracht. Natürlich hat ihn niemand mesmerisiert, und Wladimir Sergejewitsch ist er nur einmal ganz flüchtig begegnet.«
»Wurde denn Wladimir
Weitere Kostenlose Bücher