Tolstois Albtraum - Roman
verstehe er nicht, welche Zweifel es da geben könne.
»Aber wenn ich der Schöpfer der Welt bin, warum ist mir darin so unbehaglich?«
Solowjow fing an zu lachen.
»Das ist dasselbe, als wenn Sie fragen: ›Wenn ich der Schöpfer des Albtraums bin, warum habe ich solche Angst dabei?‹«
»Ach so«, sagte T. »Aber warum ausgerechnet ich? Worin besteht meine Einmaligkeit?«
»Ich bin genauso einmalig, ebenso wie diese Fliege unter der Decke und jedes farbige Brillenglas. Sie und ich und alle anderen – das ist ein und dieselbe Präsenz, nur, wie die technischen Spezialisten sagen, in verschiedenen Phasen. Ein und derselbe endgültige Beobachter, der sich nie vor jemandem versteckt, weil es niemanden gibt, vor dem er sich verstecken könnte. Außer ihm gibt es niemanden. Und Sie wissen sehr gut, wer er ist, weil Sie nämlich er sind. Das größte Geheimnis der Welt ist ein offenes Geheimnis und es unterscheidet sich in nichts von Ihnen selbst. Wenn Sie verstanden haben, wovon ich sprach, haben Sie gerade einen Reflex des größten Wunders im Universum gesehen … Das zu verstehen bedeutet auch, Den Leser zu sehen.«
»Aber warum behaupten Sie, dass es nur einen einzigen Strahl gibt?«
»Wenn es zwei verschiedene Strahlen gäbe, dann würden sie einander nie verstehen und nie begegnen. Ein Text, den ein Mensch geschrieben hätte, wäre unverständlich für einen anderen Menschen. Sie wissen doch, manchmal gibt es beim Lesen so ein Gefühl, als ob jemand in Ihnen sich an das erinnert, was er schon immer wusste. Es ist eben diese Kraft, die sich erinnert. Wir beide verstehen einander nur deshalb, weil sie sowohl Sie als auch mich versteht. Das ist eben Das Auge, das die Hobbits im wichtigsten Mythos des Westens zu zerstören versuchten. Aber sie schafften nicht, Das Auge erblinden zu lassen, wie ihre militärische Propaganda immer behauptet, sondern nur, dass sie selbst es nicht mehr sahen.«
T. schwieg. Auf seinem konzentrierten Gesicht zeigte sich ein merkwürdiger Ausdruck – als lausche er einer fernen, nur ganz schwach zu hörenden, fast verklingenden Musik. Dann lächelte er.
»Ja«, sagte er schließlich. »Schön. Aber dennoch neige ich nach wie vor zu der Ansicht, dass das in den Bereich der abstrakten Metaphysik gehört und keinerlei Einfluss auf unsere Umstände hat.«
»Das sollten Sie nicht tun«, versetzte Solowjow. »Gerade hier nämlich eröffnet sich der Weg nach Optina Pustyn.«
»Aber was ist Optina Pustyn? Eigentlich habe ich Sie nämlich nur deshalb gesucht, um Ihnen diese Frage stellen zu können. Wohin gehe ich?«
Solowjow lächelte.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte er.
T. riss die Augen auf.
»Wie das denn? Ich verstehe, dass Tschapajew es nicht weiß – er hat diesbezüglich eine ganze Philosophie. Aber Sie? Sie haben es sich doch selbst ausgedacht!«
»Wer sich Optina Pustyn ausgedacht hat, ist unwichtig. Wichtig ist nur, wozu Sie es durch Ihre Reise machen. Diese Frage können nur Sie beantworten.«
»Vielleicht«, sagte T., »führt Ariel mich immer noch an der Nase herum, indem er sich für Sie ausgibt. So etwas ist schließlich auch schon vorgekommen. Ich glaube, dieser ganze Spuk nimmt nie ein Ende.«
»Doch«, entgegnete Solowjow, »und zwar dann, wenn Sie endgültig begreifen, dass Ariel und seine ganze Bande gleichberechtigt neben Ihnen, neben mir und neben dieser Bank, auf der Sie sitzen, existieren. Bis dahin aber wird Ariel Edmundowitsch Ihnen etwas vormachen und behaupten, es gebe nur eine einzige akzeptable Variante von Evolution – unter den Bedingungen einer wachsenden Wirtschaftskrise entwickle sich Ihre Welt zu einem klerikalen Konsolen-Shooter mit Elementen von Softporno und einem begrenzten atomaren Konflikt …«
»Übrigens«, bemerkte T., »er hat mich gewarnt, er werde Sie wieder in die Erzählung einbauen.«
Solowjow nickte.
»Ich weiß. In seinem Plan wollte er mich als Köder benutzen. Was ja im Grunde auch geklappt hat.«
»Sieht er denn unser Gespräch nicht?«, fragte T. argwöhnisch.
»Nein«, erwiderte Solowjow. »Laut Skript ist er gerade verreist. Aber wenn er wiederkommt, kann es sein, dass alles, was Sie heute gehört und verstanden haben, beim Redigieren wieder rausfliegt. Natürlich nur, wenn Sie ihm die Möglichkeit geben.«
»Wohin ist er denn gefahren?«
»Nach Hurghada in Ägypten.«
»Ach ja, ich erinnere mich«, sagte T. »War das nicht wegen des Obelisken von Echnaton?«
Solowjow hob abwehrend die Hände.
»Was zum
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