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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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…«
    »Und ob es sich ändert!«, versetzte Solowjow. »In dem Fall sind Sie nämlich der Held einer ganz anderen Geschichte, als Sie dachten.«
    T. verspürte plötzlich eine seltsame Kälte in der Magengrube.
    »Und zwar?«
    »Sie dachten, es ist die Geschichte von Graf T., der sich zu einem unbekannten Ziel durchschlägt, das sich je nach Wunsch des Auftraggebers ändert. Die Geschichte wird erfunden von einem gewissen Ariel Edmundowitsch Brahman und einer ihm unterstellten Brigade von Autoren. Und dieser Ariel Edmundowitsch nimmt gelegentlich zum Zeitvertreib mit dem Grafen T. einen kabbalistischen Dialog auf, der sozusagen außerhalb der Grenzen des Romans über Graf T. bleibt. Richtig?«
    »Ja«, sagte T. »So ist es.«
    »Warum glauben Sie das?«
    »Weil diese Version der Realität in der Praxis vielfach bewiesen wurde.«
    »Aber alle praktischen Beweise dieser Realität waren Teil ebenjener Realität, die sie bestätigen. Nicht wahr? Da müsste ein kluger Mann doch Lunte riechen. Sie sind ja Gott sei Dank kein Physiker, der Experimente durchführt.«
    »Und wie verhält es sich in Wirklichkeit?«
    »Sie sind tatsächlich der Held eines Romans. Aber der Roman handelt nicht nur von Ihnen. Es ist ein Roman über Ariel Edmundowitsch Brahman und seine Gehilfen, die über einen Golem mit Namen ›Graf T.‹ gebieten, den sie sanft, aber nachdrücklich dazu bringen, seine Suche nach der ewigen Wahrheit aufzugeben und stattdessen in einem Konsolen-Shooter Seelen auszusaugen, und das damit motivieren, dass die Krise und der Markt das verlangen. Der Roman ist die Beschreibung dieses Prozesses von A bis Z.«
    »Aber was ändert sich dadurch?«
    »Das Allerwichtigste: Ariel ist kein Gott und Schöpfer. Er ist eine handelnde Person wie Sie und ich. Im richtigen Moment erscheint er auf der Bühne und spricht seine Repliken.«
    T. sprang auf und fing an, in der Zelle hin- und herzulaufen.
    »Sie wollen sagen … Aber er kann hundertprozentig … Einfluss nehmen auf die Ereignisse. Wunder vollbringen.«
    »Na und? Er ist eben ein Romanheld, der solche Fähigkeiten hat. Andere mögen Ihre Fähigkeit, eine Axt an der Klinge zu fangen, für ein Wunder halten. Aber für Sie ist das die gewöhnlichste Sache auf der Welt.«
    »Sie wollen sagen, dass Ariel lügt? Er ist in Wahrheit gar kein Autor?«
    »Das nicht. Er ist ein Autor. Aber er ist ein Romanheld, dessen Rolle es ist, ein Autor zu sein. Verstehen Sie? Im wahren Raum Des Buches ist er kein Demiurg, sondern genauso eine Figur wie Sie und ich. Und das gilt nicht nur für ihn, sondern auch für alle seine Gehilfen.«
    »Darüber muss ich erst einmal nachdenken«, sagte T. »Ich muss zugeben, Sie gehen ganz schön ran. Mir ist schon richtig schwindlig.«
    Solowjow fing an zu lachen, ging in die Ecke und setzte sich auf die freie Liege.
    »Warum lachen Sie?«, fragte T. beunruhigt.
    »Dazu ist es noch zu früh. Das war erst das Vorwort.«
    T. fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
    »Das Vorwort wozu?«
    »Sie wissen, wieso die ganze Welt und wir beide existieren?«
    »Ja«, erwiderte T., »ich habe eine gewisse Vorstellung von Ihrer Lehre. Ich meine sogar, in der praktischen Anwendung einen gewissen Fortschritt gemacht zu haben.«
    »Wovon reden Sie?«
    »Davon, dass ich die Dämonen erkennen kann, die in den Geist eindringen. Ich verwechsle sie nicht länger mit mir selbst. Ich erkenne sie alle«, T. wies mit dem Kopf verächtlich in Richtung der Toilettenschüssel, »von der ersten Sekunde an. Vor allem Mitjenka und diesen Grischa Ownjuk.«
    »Sind Sie sicher?« Solowjow kniff die Augen zusammen.
    »Ja«, erwiderte T. »Ich habe sogar begriffen, dass das Erkennen selbst eine Handlung des fünften Dämons ist – das ist der, der für meinen Bewusstseinsstrom zuständig ist. Sehen Sie, ich erkenne sogar den, der erkennt, obwohl mir das niemand beigebracht hat.«
    »Bemerkenswert«, sagte Solowjow. »Aber haben Sie auch gelernt, das Allerwichtigste zu sehen?«
    »Sie sprechen von dem Leser, in dessen Bewusstsein wir entstehen?«
    Solowjow nickte.
    »Das hingegen«, bemerkte T., »ist von meinem Standpunkt aus der reinste Sophismus. Der Leser zeigt sich niemals und in keiner Weise in unserer Realität. Warum sollten wir überhaupt an ihn denken? Er ist eine genauso nutzlose Annahme wie der Weltäther.«
    »Ich gebe Ihnen noch einen Hinweis. Hier in dieser Zelle, an der Wand … Nein, Sie blicken an die falsche Stelle. Ich meine nicht den Kater, der an seinem Schwanz

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