Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
sich umzusehen.
    Bald führte die Straße in ein reiches Dorf mit einer frisch gestrichenen weißen Kirche. An der Kirchenmauer hockte ein trübseliger, einbeiniger Soldat in einer verwaschenen grauen Uniform.
    »Weißt du zufällig, wo hier Optina Pustyn ist?«, fragte T. und beugte sich vom Pferd zu ihm hinab.
    »Meinen Sie das, wovon die Bauern immer erzählen?«, fragte der Soldat. »Diese Anstalt, die sie neulich gebaut haben?«
    T. dachte, der Soldat sei wohl nicht recht bei Trost.
    »Was denn für eine Anstalt?«
    »Also jedenfalls immer geradeaus, Euer Wohlgeboren«, sagte der Soldat mit einer Handbewegung. »Noch ein schönes Stück. Es gibt bloß zwei Straßen, beide in die gleiche Richtung. Sie können die eine nehmen oder die andere. Kürzer ist es durch den Wald. Da ist eine Gabelung, da können Sie beide Richtungen nehmen. Hinter dem Wald noch fünf Werst auf der Landstraße bis zur Stadt Kowrow, da laufen die beiden Straßen wieder zusammen. Und dahinter ist dann auch dein Pustyn und alles, was du willst.«
    »Ich danke dir«, erwiderte T.
    Er wollte beim Ausgang des Dorfes noch jemand anderen fragen – doch er kam nicht mehr dazu.
    Die Verfolger warteten hinter einem baufälligen zweistöckigen Haus mit eingestürztem Schornstein, versteckt zwischen den Apfelbäumen des verwilderten Gartens. Kaum hatte T. ihr Versteck passiert, ritten sie heraus auf die Straße und setzten ihm nach. Der üppige Schnurrbart des vorweg galoppierenden Knopf bog sich nach oben wie die Eckzähne eines angreifenden Keilers.
    »Wie hat er das bloß angestellt?«, dachte T., während er sein Pferd antrieb. »Bestimmt ist er heute Nacht ein paar Stationen mit dem Expresszug gefahren. Schließlich wissen sie, wohin ich unterwegs bin und warum … Aber nein – wie können sie das wissen, wenn ich es selbst nicht weiß? Knopf hat doch auch keine Ahnung, wo dieses Optina Pustyn ist. Oder lügt er? Warum schießen sie denn nicht? Aber es ist klar, schließlich können diese Zivilisten nicht auf einen Oberst der Gendarmerie schießen, wenn das ganze Dorf es mitbekommt. Dann würde man glauben, sie sind Nihilisten.«
    Die Vermutung war ganz richtig. Sobald die letzten Häuser außer Sicht waren und die Straße in den Wald führte, knallten Schüsse von hinten. Eine der Kugeln schlug den Ast einer Eiche vor ihm ab. T. beugte sich über den Hals des Pferdes, trieb es noch heftiger an und gewann allmählich an Vorsprung vor seinen Verfolgern.
    Je tiefer die Straße in den Wald hineinführte, desto höher wurden die Bäume zu beiden Seiten. Plötzlich bemerkte T., dass sich weiter vorn der Weg gabelte und an einer kleinen, mit Gebüsch bedeckten Anhöhe gleichsam in zwei Teile spaltete. Hinter der Anhöhe lag eine Schlucht, eng und tief und völlig zugewuchert mit Weidengestrüpp. T. konnte sein Pferd unmittelbar vor dem Abgrund gerade noch zügeln. Seine Entscheidung fiel im Nu – er ritt ein Stück zurück, gab dem Pferd brutal die Sporen und setzte in vollem Lauf über die grüne Wand.
    Für einen weniger erfahrenen Reiter hätte das mit einem tödlichen Sturz enden können, aber T. landete sicher zwischen den Bäumen auf der anderen Seite der Schlucht. Er hatte gerade noch Zeit, sein Pferd herumzureißen – die Verfolger waren schon bei der Gabelung angelangt.
    Als Knopf und seine Gefährten zwischen den Bäumen auftauchten, kamen sie T. vor wie eine Gesellschaft von Handlungsreisenden, mit geschmackloser Eleganz gekleidet und sicherheitshalber mit erstklassigen Revolvern ausgerüstet. Durch das lichte Laub waren sie gut zu sehen: Sie hielten inne und blickten eine Zeit lang verblüfft auf den Weg, der sich vor der mit Weidenbüschen bewachsenen Anhöhe gabelte.
    Knopf hob die gelb behandschuhte Hand und mahnte zur Ruhe. Im selben Moment wieherte T.s Pferd.
    »Ihm nach, aber schnell!«, brüllte Knopf. »Er ist direkt vor uns!«
    Die Reiter stürmten verwegen voran, zwangen die Pferde, über die Büsche zu setzen – und das muntere Kavalleriehalali wich Angst- und Schmerzensschreien. Knopf, der als Letzter die Anhöhe emporgeritten war, konnte sein Pferd gerade noch halten und näherte sich der Schlucht vorsichtig und langsam.
    Pferde und Menschen lagen zuckend am Grund der Schlucht. Einer versuchte, sich unter seinem Pferd hervorzuwinden, der Zweite kroch den Abhang hinauf und schleifte sein verrenktes Bein hinter sich her. Der Dritte saß benommen von dem Sturz auf dem Boden und drehte den Kopf langsam von Seite zu Seite. Der

Weitere Kostenlose Bücher