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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Sentenzen von Konfuzius .
    »Da haben wir etwas zu lesen«, murmelte Dostojewski und schob das Buch in die Tasche seiner Matrosenjacke.
    Plötzlich verspürte er einen stechenden Schmerz im Fuß.
    Einem Zombie-Gardisten, der auf unerklärliche Weise überlebt hatte, war es gelungen, unbemerkt von hinten heranzurobben und ihm die Zähne in die Stiefel zu schlagen. Natürlich hatten die Zähne das dicke Leder nicht durchbeißen können, aber die versteckte Nadel, die jeder Zombie-Gardist unter der Zunge trug, war ihm in die Ferse gedrungen.
    Dummerweise hatte er das Beil in der getarnten Grube liegen lassen. Dostojewski hielt sich mit Mühe auf den Beinen und knallte dem Zombie-Gardisten mehrmals die Faust gegen die Schläfe. Der lockerte seine mit weißem Schaum bedeckte Kinnlade und rührte sich nicht mehr. Aber das Gift war bereits in die Blutbahn gelangt.
    Das Atmen, jede Bewegung, fiel ihm unerträglich schwer. Rote Schatten schwammen vor seinen Augen und seine Gedanken waren wie Mühlsteine, die träge und böse in seinem Kopf herumgerollt wurden.
    »Ein Verbandskasten? Oder eine Mullbinde? Nein, das reicht nicht …«
    Er musste einen Verbandskasten anbrechen. Schade natürlich, aber eigentlich war ein Verbandskasten ja für genau den Fall gedacht, wenn das Gift einer versteckten Nadel ins Blut gelangte.
    »Genau so haben sie es mit Puschkin gemacht«, dachte Dostojewski. »Diese aristokratischen Nissen. Zuerst mit Pistolen und dann, als er sich nicht mehr regen konnte, mit einer versteckten Nadel in den Kopf … Lermontow hatte ganz recht – Abschaum, arroganter …« 48
    Die pulsierende rote Atemnot ließ allmählich nach. Nun brauchte er nur noch die Seelen auszusaugen.
    Doch zuerst musste er natürlich ein Gebet verrichten.
    Dostojewski suchte eine einigermaßen saubere Stelle, ließ sich auf die Knie nieder, seufzte und schloss die Augen. Der Starez Fjodor Kusmitsch 49 hatte gesagt, ein Gebet müsse man in seelischer und geistiger Sammlung verrichten und mit ganzem Herzen den Sinn jedes Wortes durchleben – sonst würde das Beten zur Sünde der Buchstabengelehrsamkeit. Doch in letzter Zeit hatte er sich nur mit Mühe konzentrieren können. So auch jetzt: Während er sich das Symbol des Glaubens ins Gedächtnis rief, ertappte Dostojewski sich immer wieder bei höchst unpassenden Gedanken:
    »Europa, Europa – was ist denn Gutes an diesem Europa? Die Klos auf den Bahnhöfen sind sauber, das ist alles. Zum Scheißen kann man da hinfahren, weiter nichts …«
    Und dann, völlig zusammenhanglos:
    »Wenn man das Daodejing aufmerksam liest, müsste man im Grunde alle Journalisten unverzüglich an den Eiern aufhängen …«
    Schließlich gelang es ihm, seine umherirrenden Gedanken zu sammeln, und er verrichtete mehr schlecht als recht sein Gebet.
    »Diese Teufel«, seufzte er. »Kaum fängt man an zu beten, kommen sie angeflogen. Früher haben sie mich weniger geplagt. Da war ich jünger, reiner und gefestigter … Also gut, fangen wir an …«
    Er ging ein Stück zu Seite und hob seine Hand vor die Augen, so dass die gespreizten Finger die vor ihm liegenden Körper verdeckten. Dann konzentrierte er sich und saugte, indem er in den Bauch atmete.
    Zuerst klappte es nicht – irgendeine äußere Kraft störte den Prozess. Dostojewski runzelte die Stirn, murmelte: »Verzeih, Herr!« und saugte schneller und heftiger.
    Ein Knacken ertönte, und am Hals eines der Zombies zersprang eine Kette mit einer Art Teufels-Amulett. Danach lief es wie am Schnürchen: Bläulicher Nebel strömte von den zusammengekrümmten Körpern zu seiner Hand und durch die Yin-Meridiane des Arms in den unter seiner Achsel hängenden Flaschenkürbis, in dem er sich setzte, verdichtete und in flüssiges blaues Mana 50 verwandelte.
    Sie hatten alle eine – wenn auch tote – Seele, nur der Zombie-Gardist nicht, der ihm die Nadel in die Ferse gestochen hatte.
    »Meistens kommt das ausgerechnet bei den Aristokraten vor«, überlegte Dostojewski. »Die Verbindung zum Höchsten, der Hauch Gottes, verlässt sie, und anstelle der Seele bleibt nur eine Pfütze Gift für die versteckte Nadel zurück. Daher auch dieser ständige Drang der höheren Klassen, andere zu erniedrigen und zu verspotten, besondere Kleidung anzuziehen und so auf alle mögliche Weise zu demonstrieren, dass sie sich von den anderen unterscheiden. Demonstrieren kommt bestimmt von Dämon. Das muss man Fjodor Kusmitsch sagen …«
    Die Ausbeute war fabelhaft – genug Mana für

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