Tolstois Albtraum - Roman
lagen nebeneinander, und wäre ringsum nicht alles voller Hundespuren gewesen, hätten man meinen können, sie seien von ein und derselben Kartätschensalve niedergemäht worden.
Danach kam T. an einem Toten vorbei, mit dem er hier nicht gerechnet hätte. Es war Vater Warsonofi in seiner dunklen Kutte. Sein Gesicht war von Explosionssplittern entstellt, aber der tief in die Stirn geschobene, durchlöcherte Klobuk hatte sich irgendwie auf dem Kopf gehalten. Wenn die Hundezähne auch diesen Unglücklichen bearbeitet hatten, war davon nichts zu bemerken.
Auch den nächsten Verstorbenen erkannte T. sofort, obwohl er ihm noch nie begegnet war. Er hatte rote Wangen und schütteres blondes Haar, und nicht einmal der Tod hatte ihm seinen vorsichtig optimistischen Gesichtsausdruck nehmen können. Er lag auf dem Rücken und hatte die rechte Hand, in der er eine lange, an einem Westenknopf befestigte Kette hielt, mit einer graziösen Bewegung abgespreizt; an der Kette hing ein kleiner vernickelter Schlüssel.
»Der Bankdirektor, von dem Knopf erzählt hat«, dachte T. erfreut. »Und das ist der Schlüssel zur Spieluhr der Ewigkeit … Er hat sie also tatsächlich aufgezogen, der Spitzbube.«
Neben dem Verstorbenen lag eine kleine lederne Reisetasche. Sie lag im Weg und T. stieß sie mit dem Fuß beiseite, um nicht darüber zu stolpern. Die Tasche schlitterte überraschend leicht über das Eis davon.
»Wahrscheinlich ist hier alles mit Kadavern übersät, die auferstehen wollten und es nicht geschafft haben …«
Er blickte um sich.
»Mir scheint es zu gelingen …«
Der dreiköpfige Hund war nicht mehr zu sehen. Eine letzte Welle von Angst überlief T., und dann bemerkte er, dass der rote Streifen des Sonnenuntergangs erlosch.
Es wurde jetzt rasch dunkel. Die Windstöße wurden heftiger, Schneeflocken wirbelten umher und bald tobte ein richtiger Schneesturm.
Nun war es stockfinster. Der Druck des Windes, der ihm ins Gesicht blies, war sehr stark und T. kam fast gar nicht mehr vorwärts; es war nur zu hoffen, dass der Wind auch den dreiköpfigen Hund aufhalten würde, wenn der noch versuchen sollte, ihn zu verfolgen.
Für einen Augenblick erreichte der Sturm eine unüberwindliche Kraft – und plötzlich flog T. buchstäblich aus einer Schneewolke heraus in einen dunkelblauen Sommerabend.
Er verlor das Gleichgewicht und fiel ins Gras. Die Schlittschuhe, die eben noch fest an seinen Füßen gesessen hatten, sprangen von selbst ab und verschwanden in der Schneewolke hinter seinem Rücken, woraufhin diese Wolke aufwirbelte, sich zunächst in eine Windhose und dann in eine schmale Säule aus Schneestaub verwandelte, um daraufhin spurlos zu verschwinden.
Es war fast dunkel. T. lag im Gras, nicht weit von den Ziegelruinen. Sein Kopf tat fürchterlich weh, die Hand, die die Kugel gestreift hatte, schmerzte, aber immerhin war er heil.
T. hatte die Bombe genau richtig geworfen – bei der Explosion war er im toten Winkel gewesen und ihm war nichts passiert.
Die Mönche hatten weniger Glück gehabt. Sie waren alle tot – ihre von Splittern zerfetzten Körper lagen um T. herum wie die Kelchblätter einer schrecklichen Todesblume, deren Zentrum er selbst war. In einiger Entfernung lag Warsonofi, aber hier sah er anders aus als auf dem Eis. Die blutige Spur hinter seinem Körper bewies, dass er versucht hatte wegzukriechen, aber seine Kräfte nicht gereicht hatten. Unter seinem ins Gras gedrehten Gesicht hatte sich eine große Blutlache gebildet, in der nun der Klobuk aufweichte.
T. rappelte sich auf, blickte in die Richtung, in die der Schneewirbel verschwunden war, und bemerkte plötzlich im Gras etwas Gelbes. Er humpelte darauf zu und entdeckte die Reisetasche, die neben dem toten Bankdirektor auf dem Eis gelegen hatte. Sie war nicht verschlossen und als T. sie aufklappte, erblickte er darin in Papier eingewickelte Münzrollen.
»Das kommt gerade recht«, dachte er, »ich habe mich vollkommen verausgabt …«
Als er auf die Straße kam, war es schon vollkommen dunkel. Er verspürte eine entsetzliche, überirdische Müdigkeit – als hinge auf seinen Schultern ein Joch mit bleiernen Eimern, gefüllt mit Wasser aus dem Styx.
Bald erschien auf der Straße ein Licht – es war die Deichsel-Laterne eines Fuhrwerks. T. stellte sich mitten auf die Straße, damit der Bauer ihn schon von weitem sehen konnte und nicht erschrak. Das Fuhrwerk kam näher und hielt an.
»Nimm mich mit, Brüderchen«, sagte T. »Ich gebe dir auch
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