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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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zuckte die Achseln.
    »Es gibt noch die Gießkanne, die alles mit Emotionen besprengt. Damit kann eigentlich jeder hergelaufene Marktforscher umgehen … Es ist mir schon oft aufgefallen: Da schaut man sich einen Blockbuster aus Hollywood an, erbärmlicher Schund von der ersten bis zur letzten Einstellung, man verdreht die Augen – und plötzlich erklingt pathetische Musik, der raue Krieger auf der Leinwand salutiert vor einem kleinen Mädchen mit einem Luftballon, und dann treten einem die Tränen ganz von selbst in die Augen, obwohl man den Film immer noch furchtbar findet … Als wären sämtliche vorgeschriebenen Seelenregungen zusammen mit der Tonspur und den Untertiteln auf der CD eingebrannt. Nur Hamlet dachte, es sei schwierig, sein Ventil zu steuern. Seither hat man im Königreich Dänemark einiges dazugelernt.«
    »Aber wer steuert das Ventil?«
    Ariel wedelte mit gespreizten Fingern in der Luft herum.
    »Wer steuert denn bei einer Drehorgel die Ventile? Das sind die Hebel. Hier haben wir es auch mit so einer Drehorgel zu tun. Unbeseelt und sinnlos, wie ein vulkanischer Prozess auf dem Mond. Ich verrate Ihnen ein schreckliches Geheimnis, selbst die mächtigsten Bankiers und Freimaurer der Weltregierung sind solche mechanischen Apfelsinen. Ausnahmslos alle Führer der Menschheit werden von einem Sandsturm angekurbelt, der über unserem toten, unbewohnten Planeten bläst.«
    »Aber …«
    »Keine Widerrede«, unterbrach Ariel ihn traurig. »Hier ist Widerrede zwecklos.«
    »Wie das denn«, fragte T. aufgeregt. »Sie lassen doch das Wichtigste aus. Ich habe das unbestreitbare, das deutliche Gefühl, dass ich bin. Ich bin! Hören Sie? Wenn ich einatme und Ihr Rührei rieche, dann schreit jede Zelle in mir – ich! Ich rieche das! Stimmt es etwa nicht?«
    Ariel blickte auf sein erkaltendes Frühstück.
    »Nein«, sagte er.
    »Sie wollen also behaupten, dass das deutlichste, das offensichtlichste aller Gefühle – das Empfinden des eigenen Seins – ebenfalls eine Täuschung ist? Eine Illusion?«
    »Natürlich. Und wissen Sie, warum?«
    »Warum?«, fragte T.
    »Weil«, antwortete Ariel mit einer Pause und brachte ihm gleichsam einen sorgfältig kalkulierten Schlag mit der Reitpeitsche bei, »Sie die Hauptsache vergessen haben. Nicht Sie haben dieses unbestreitbare, offensichtliche Gefühl der eigenen Existenz, Graf. Sondern ich. Ha-ha-ha-ha!«
    »Nein!«, schrie T. »Nein! Sie Quälgeist!«
    Er wollte Ariel bei der Gurgel packen, aber eine rätselhafte Kraft schmiedete ihm Arme und Beine zusammen – als hätte Ariel ihn unbemerkt mit einem Seil gefesselt.
    T. machte einige wütende Bewegungen und erkannte, dass er sich endgültig verheddert hatte – und dass die Fesseln umso stärker wurden, je mehr er kämpfte. Er fing an zu schreien.
    »Euer Erlaucht?«, fragte neben ihm ein zuvorkommender, klangvoller Bariton.
    »Das Seil«, krächzte T., »nimm das Seil weg!«
    »Das ist kein Seil«, sagte der Bariton. »Sie haben geruht, sich im Bettlaken einzuwickeln! Es drückt auf den Hals.«
    T. befreite sich mühsam aus dem verzogenen Bettlaken und stützte sich auf den Ellbogen.
    »Wo bin ich?«, fragte er.
    »Sie geruhen, in Ihrem Zimmer zu sein«, erwiderte der am Bett stehende livrierte Lakai. »Hotel d’Europe, Petersburg.«
    T. musterte die im Morgenlicht strahlende Suite – die goldenen Blumenkreuze auf der Tapete, die mit Zephyren spielenden Engel an der Stuckdecke, der sich im Luftzug bauschende Musselin-Vorhang am Baldachin über dem Bett – und kam endgültig zu sich.
    »Schon wieder Ariel!«, dachte er wehmütig. »Aber was bedeutet das? Versucht er schon wieder, sich in mein Leben zu drängen? Wohl kaum. Wozu auch? Er hat mich weggeworfen wie Abfall. Außerdem ist er mir früher nie im Traum erschienen, sondern immer, wenn ich wach war … Offenbar habe ich ihn selbst erschaffen mit all dem Unsinn, den er im Traum verzapft hat. Träume sollte man ignorieren …«
    Der Lakai stand immer noch neben dem Bett.
    »Was willst du?«, fragte T.
    »Euer Erlaucht haben befohlen, Sie in aller Frühe zu wecken. Sie sagten, Sie hätten zwei wichtige Treffen. Das erste um zehn Uhr morgens.«
    »Und wie spät ist es jetzt?«
    »Sieben«, erwiderte der Lakai.
    »Lass mir Kaffee und ein Frühstück bringen.«
    »Ist schon serviert. Auf dem Tisch.«
    T. roch Kaffeeduft.
    »Nun gut, danke, mein Lieber«, sagte er. »Geh jetzt. Nimm dir einen Rubel, das Geld liegt vor dem Spiegel.«
    »Danke sehr, Euer Erlaucht«,

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