Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
man aus der Thüre geht, weil sie offen ist. Meine Füße sind, dem Himmel sei Dank, recht gut im stande mich zu tragen! Haben sie mich doch manchen langen Abend getragen, wenn ich nach einer Geige mit einem nicht sehr angenehmen Tänzer tanzte, und sicherlich werden sie mich nicht im Stiche lassen, wenn ich einem so verhaßten Tänzer auf meine ganze Lebenszeit zu entweichen suche.« – »O Jemini! Wissen 'R Gnaden auch was Sie sagen?« schrie Honoria. »Woll'n gnädiges Frölen wohl so bei nachtschlafender Zeit, so allein zu Fuß, durch Heid' und Weid gehn?« – »Nicht allein,« antwortete Sophie; »Sie hat mir ja versprochen, mir Gesellschaft zu leisten.« – »Nun ja, vorwahr!« sagte Honoria, »'ch will 'R Gnaden durch d' ganze Welt folgen. Aberst, 'R Gnaden, sind damit nicht besser, als mutterseelallein! denn ich, ja ich kann 's nicht schützen, wenn Räuber und andre Schelme Sie überfall'n sollt'n. Ach nöh! ich würd' mich eb'nso entsetzlich fürcht'n als 'R Gnaden; denn, mein' Ehr', sie würd'n uns, ohn' Gnad' und Barmherzigkeit, all' beide Notzucht anthun: und denn, bedenk'n 'R Gnaden, wie kalt die Nächte jetzunder sind! Wir frieren gewiß zu Tode.« – »Ein guter, rascher Schritt wird uns vor Kälte schützen,« antwortete Sophie. »Und wenn Sie mich nicht vor Räubern schützen kann, Honoria, so will ich Sie beschützen; denn ich will eine Pistole mitnehmen, es hängen immer welche im Vorsaale, die geladen sind.« – »Teureste 'R Gnaden,« – schrie Honoria, »Sie jagen mir größere Bangigkeit ein. Gnädigs Frölen werden's doch vorwahr nicht losschießen woll'n? Lieber laß mir's gehn, wie's der Himmel will, als 'R Gnaden das thun sollt'n.« – »Wie so?« sagte Sophie mit Lächeln; »wollte Sie nicht lieber, daß ich auf jeden Verwegenen eine Pistole abschösse, der ihre Tugend rauben wollte?« – »Wohl wahr, 'R Gnaden,« schrie Honoria, »Tugend ist 'n teur und wertes Ding! besonders vor uns arme Kammerjungfern, weil's unsre ganze Mitgabe ist, wie man wohl recht hat, zu sag'n: Aberst, ich kann's Schießen vorn Tod nicht leiden! 'S kommt so'n manch Unglück d'raus!« – »Nun gut denn!« sagte Sophie, »ich glaube, ich kann Ihre Tugend ganz wohlfeil assekurieren, wenn wir auch keine Pistolen mitnehmen; denn ich bin gesonnen, im ersten Orte, wo wir hinkommen, Pferde zu nehmen, und auf unserm Wege bis dahin werden wir schwerlich angefallen werden. Sieht Sie, Nore, zur Reise bin ich fest entschlossen, und will Sie mich begleiten, so will ich es Ihr so reichlich vergelten, als es nur immer in meinen Kräften steht.«
Dies letzte Argument hatte eine kräftigere Wirkung auf die Zofe, als alle vorhergehende; und da sie ihr Fräulein dermaßen entschlossen sah, enthielt sie sich alles fernern Ausredens. Sie fingen [15] nun an, über die Mittel und Wege zu beratschlagen, wie sie ihr Vorhaben ins Werk setzen könnten. Hier ergab sich eine härtere Schwierigkeit, die war, wie sie ihre Sachen fortschaffen wollten? Die Herrschaft war weit eher darüber hinaus, als ihre Jungfer: denn, wenn eine Dame einmal sich vorgesetzt hat, einem Liebhaber in die Arme, oder aus den Armen zu rennen, so werden alle Schwierigkeiten, zu Wasser und zu Lande, für sie bloße Kleinigkeiten. Aber Jungfer Honoria hatte nun eben solche Inspiration nicht; sie hatte keine Entzückungen zu erwarten, und keinem Entsetzen aus dem Wege zu gehen; und den wahren Wert ihrer Kleidungsstücke ungerechnet, worin ein großer Teil ihres Reichtums steckte, so hatte sie auch noch eine Art grillenhafte Liebschaft zu gewissen Röcken und dergleichen Dingen; entweder weil sie ihr gut paßten und sie gut kleideten; oder weil sie ein Geschenk von dieser oder jener werten Hand waren; oder, weil sie sie erst neulich gekauft; oder, weil sie solche schon lange gehabt hatte; oder aus andern ebenso triftigen Ursachen mehr: so, daß sie den Gedanken nicht ausstehen konnte, ihre armen Sachen Herrn Western auf Gnade und Ungnade zu überlassen, denn sie fürchtete zu sehr, er würde solche in seiner Grimmesflamme nicht verschonen.
Die sinnreiche Jungfer Honoria, nachdem sie vorher alle ihre Redekunst angewendet, ihrem Fräulein die Flucht auszureden, und fand, daß solche durchaus auf ihren Sinnen beharrte, grübelte endlich folgenden Behelf aus, ihre Sachen fortzuschaffen, daß sie sich nämlich selbst noch an eben dem Abend aus dem Hause jagen lassen wollte. Sophie erteilte dem Einfalle zwar alles verdiente Lob, zweifelte aber, ob und wie sie ihn
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