Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
hatte, noch nicht völlig wieder ausgeschlafen und des Morgens war noch eine Pinte warmen Weins oder vielmehr Weizengeist (denn selbst der Birnmost war nicht unverfälscht) hinzugekommen. Nun war der Raum in seinem Kopfe, welchen die Natur zum Behälter des Getränks bestimmt hatte, sehr flach und es durfte nur ein wenig von geistigem Getränk hineinlaufen, so floß er über und öffnete die Schleusen seines Herzens so, daß alle darin aufbewahrten Geheimnisse mit fortschwammen. Diese Schleusen waren auch freilich von Haus aus nicht zum sichersten verwahrt. Um seine Gemütsneigung von der besten Seite zu nehmen, wo wir nur können, wollen wir sagen, er war ein sehr ehrlicher Mann, denn so wie er einer der neugierigsten unter allen Sterblichen war und ewig und ohne Unterlaß die Nase in andrer Leute Geheimnisse stecken mochte, so bezahlte er solche [200] dadurch auf Treu und Glauben, daß er dagegen alles wieder mitteilte, was nur jemals zu seiner Wissenschaft gelangt war.
Unterdessen, daß Sophie, von ängstlichen Zweifeln gequält, nicht wußte, was sie glauben, noch was für einen Entschluß sie fassen sollte, langte Susanne mit dem Sekt-Thee an. In diesem Augenblick flüsterte Jungfer Honoria ihrem Fräulein den Rat ins Ohr, diese Dirne ein wenig auszupumpen, weil sie ihr vermutlich die rechte Wahrheit sagen könnte. Sophie billigte den Rat und begann wie folgt:
»Komm Sie her, gutes Kind, antworte Sie mir aufrichtig auf das, was ich Sie fragen will, und sei Sie versichert, daß ich Sie reichlich belohnen werde. Logiert hier im Hause ein junger Herr, – ich meine, so ein recht hübscher junger Herr, der« – hier ward Sophie ganz rot und konnte vor Stottern nicht weiter reden – »Ein junger Herr«, schrie Honoria, »der hier kam in Kompanie mit dem Zotenreißer, da unten in der Küche?« Susanne antwortete bejahend. »Weiß Sie etwas von einem gewissen Frauenzimmer«, fuhr Sophie fort, »von einem gewissen Frauenzimmer – ich frag eigentlich nicht, ob sie schön ist; vielleicht ist sie's nicht; und das thut auch nichts zur Sache; aber ich meine, ob Sie was von einem gewissen Frauenzimmer weiß?« – »Mein'r Ehr! gnädig's Fröln«, schrie Honoria, »aufs Examinieren haben sich Ihr' Gnaden noch nicht recht gelegt. – Hörst du, Mädchen, sag' mir,« fing Honoria an, »ist nicht eben der junge Herr, mit einer gewissen klaatrigen Betze zu Bette gegangen?« Hier schmutzerte Susanne und blieb stumm. »Antworte Sie mir, mein Kind,« sagte Sophie, »und da ist hier eine Guinee für Sie.« – »Eine Guinee, Ihr Gnaden!« rief Susanne; »eine Guinee will nicht viel sagen. Wenn's unsre Frau erfährt, so komm' ich gewiß den Augenblick um meinen Dienst.« – »Da hier ist noch eine,« sagte Sophie, »und ich versprech's Ihr, auf mein Gewissen, Ihre Herrschaft soll davon nichts erfahren!« Nach einem sehr kurzen Bedenken nahm Susanne das Geld, erzählte die ganze Geschichte, und sagte, als sie damit fertig war: »Wenn Ihr' Gnaden recht neugierig sind, so kann ich mich ganz leise in sein Zimmer schleichen und zusehn, ob er in seinem eignen Bett' ist, oder nicht.« Sie that dies auf Sophiens Verlangen, und brachte eine verneinende Antwort zurück.
Jetzt fing Sophie an zu zittern und blaß zu werden. Jungfer Honoria bat sie, sie möchte sich doch zufrieden geben und an einen so unwürdigen Laffen nicht weiter denken. »Ja, nun, so!« sagte Susanne, »ich hoffe doch, Ihr Gnaden werden mir nicht bös werden! Aber ich möcht' wohl bitten, Ihr Gnaden, ob Ihr Gnaden nicht das gnädige Frölen Sophie von Western wären?« – »Wie ist [201] es möglich, daß Sie mich kennen sollte?« antwortete Sophie. – »Je, nun! der Mann, wovon diese Madame hier eben sprach, der in der Küche ist, der hat den ganzen Abend nichts anders gethan, als von Ihr Gnaden zu sprechen. Aber ich hoffe, Ihr Gnaden werden mir's nicht ungnädig nehmen.« – »Ganz und gar nicht, Kind«, antwortete sie; »ich bitt' Sie, sage Sie mir nur alles ohne Umstände, und ich versprech' Ihr ein recht gutes Trinkgeld.« – »Je, ja nun, Ihr Gnaden,« fuhr Susanne fort, »der Mann erzählte uns allen, wie wir in der Küche waren, die gnäd'ge Frölen Sophie von Western – ja, aber ich weiß nicht, wie ich's so recht von mir geben soll.« – Hier stockte sie, bis ihr Sophie von neuem Mut zugesprochen hatte, und Honoria ihr aufs nachdrücklichste zusetzte, da sie denn folgendergestalt fortfuhr: »Ja, da erzählt' er uns, sozusagen, aber es ist gewiß alles
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