Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Redensart, zu einer ehrlichen Frau, und ihre Mutter in dem reinsten Sinne des Wortes, zur glücklichsten unter allen sterblichen Müttern gemacht wurde.
Und nunmehr, da Herr Jones seine freundschaftlichen Bemühungen für diese arme Frau und ihre Familie zu einem glücklichen Schlusse gediehen sah, fing er an auf seine eignen Angelegenheiten zu denken. Aber damit hier nicht viele von meinen Lesern seine Thorheit tadeln, womit er sich mit andrer Leute Händeln befaßte, und damit andre wenigere nicht denken mögen, er habe uneigennütziger gehandelt als er eigentlich that, so halten wir für nötig, unsrem Leser die Versicherung zu geben, daß er soweit entfernt [159] war, in dieser Sache ganz unbefangen zu handeln, daß er sogar einen ganz großen Anteil daran nahm, solche bis zu ihrem endlichen Schlusse hinauszuführen.
Um diesen anscheinenden Widerspruch auf einmal zu heben, läuft es nur darauf hinaus: Er war einer von denen, welche mit dem Schauspieler beim Terenz wahrhaftig sagen können:
Homo sum: Nihil humani a me alienum puto.
Er war niemals, weder bei den Leiden noch bei den Freuden eines Menschen ein gleichgültiger oder kalter Zuschauer, und die einen oder die andern fühlte er immer in einem größern oder geringern Maße, je nachdem er dazu etwas beigetragen hatte. Folglich konnte er nicht das Werkzeug sein, eine ganze Familie von der tiefsten Stufe des Elends bis zum Gipfel der Freude zu heben, ohne sich selbst zugleich dabei eine große Glückseligkeit zu erwerben; mehr vielleicht als Weltmänner sich oft mit der sauersten Mühe und Arbeit, selbst oft mit dem Durchwaten der tiefsten Sümpfe der Bosheit erkaufen.
Diejenigen Leser, die mit ihm von einerlei Farbe sind, sind vermutlich der Meinung, daß dies kurze Kapitel eine gar reichliche Materie in sich fasse, inzwischen daß andre vielleicht wünschen, es hätte, so kurz es auch ist, gänzlich wegbleiben mögen, weil es mit dem Hauptzwecke nichts zu thun hat, der nach ihrer Meinung ohne Zweifel dahinauslaufen wird, den Herrn Jones an den Galgen, oder womöglich zu einem noch bedauernswürdigeren Ende zu bringen.
Neuntes Kapitel.
Liebesbriefe von allerlei Schlage.
Als Jones wieder nach Hause kam, fand er folgende Briefe auf seinem Tische liegen, welche er glücklicherweise in eben der Ordnung öffnete, als sie gesandt waren.
»Ganz gewiß muß ich unter einer seltsamen Zauberwirkung stehn, keinen Augenblick kann ich bei einem Vorsatze beharren, so fest er gefaßt oder so wohl gegründet er sein mag. Gestern abend war ich fest entschlossen, Sie niemals wieder zu sehn, diesen morgen bin ich geneigt zu hören, ob Sie, wie Sie sagen, diese Sache ins reine bringen können. Und doch weiß ich's, daß das unmöglich ist. Ich habe mir bereits alles gesagt, was Sie nur erfinden können. – Vielleicht auch nicht. – Vielleicht sind Sie sinnreicher im Erfinden. Kommen Sie also den Augenblick nach Empfang dieses zu mir. Wenn Sie eine Entschuldigung erdichten können, so verspreche ich Ihnen fast im voraus, daß ich ihr glauben werde. Auch betrogen zum – Ich will nicht mehr denken. – Kommen Sie nur augenblicklich. – Dies ist der dritte Brief, den ich geschrieben habe, die zwei vorigen sind verbrannt. Fast hätte ich Lust, diesen gleichfalls ins Feuer zu werfen. – Alles, was ich wünsche, ist, daß ich nur nicht von Sinnen kommen möge. – Kommen Sie unverweilt zu mir, hören Sie!«
»Wenn Sie im geringsten hoffen, Verzeihung zu erhalten, oder [160] nur jemals in mein Haus kommen zu dürfen, so säumen Sie keinen Augenblick, mich zu besuchen.«
»Ich hörte jetzt, daß Sie nicht zu Hause waren, als Ihnen meine Billets gebracht wurden. – Den Augenblick, da Sie dies eröffnen, lassen Sie mich Sie sehen. – Ich werde keinen Fuß aus dem Hause setzen, auch kein einziger Besuch soll angenommen werden, der Ihrige ausgenommen. Ich wüßte doch nicht, was in dieser Welt Sie lange abhalten könnte.«
Jones war eben mit dem Lesen dieser drei Billets zu Ende gekommen, als Herr Nachtigall zu ihm ins Zimmer trat. »Nun, Thomas,« sagte er, »nichts neues von der Bellaston nach dem Abenteuer von gestern abend?« (denn es war jetzt kein Geheimnis mehr im Hause, wer die Dame wäre). »Was für eine Bellaston?« antwortete Jones ganz trocken. – »Nun, nun, liebster Thomas!« rief Nachtigall, »seien Sie nicht so zurückhaltend gegen Ihre Freunde. Ob ich gleich gestern abend zu benebelt war um sie zu sehen, so sah ich sie doch auf der letzten Maskerade.
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