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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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unbedeutendsten Kleinigkeiten vorkämen.«
    »Nein, mein kleines Fräulein,« rief die Tante, »Sie sind mit ebensoviel Sinnen geboren, als andre Leute, aber was ich dich versichern kann, ist, du bist nicht mit Verstand genug geboren, mich zum besten zu haben, oder mein Benehmen vor der Welt lächerlich zu machen. Und also betheur' ich dir hiermit auf mein Wort (und ich meine, du wissest wie standhaft ich in meinen Entschließungen bin), wofern es dir nicht beliebt, heute Nachmittag den Grafen allein zu sprechen, so übergebe ich dich alsobald morgen früh mit meinen eignen Händen deinem Vater, und will hinfüro nicht das geringste mit dir weiter zu schaffen haben, oder dein Angesicht jemals wiedersehn.« Sophie stand nach dieser Rede, welche in einem sehr zornigen und entscheidenden Tone ausgesprochen wurde, in einem tiefen Stillschweigen, und dann sagte sie mit über die Wangen rollenden Thränen: »Thun Sie mit mir was Ihnen beliebt, meine gnädigste Tante! Ich bin das unglücklichste, elendeste Mädchen auf Erden; wenn meine teure Tante mich verläßt, wo soll ich dann einen Beschützer hernehmen?«
    »Ma chère Nièce,«
sagte sie, »du wirst einen guten Beschützer an dem Grafen haben, einen Beschützer, den dich nichts in der Welt ausschlagen lassen kann, als die fatale Sehnsucht nach dem schändlichen Kerl, dem Jones.« – »In Wahrheit gnädige Tante,« sagte Sophie, »Sie thun mir Unrecht! Wie können Sie sich nur einbilden, daß ich, nach dem was Sie mir gezeigt haben, alle dergleichen Gedanken, hätte ich sie auch ehedem gehegt, nicht auf ewig verbannt haben sollte? Wenn es Sie zufrieden stellen kann, so will ich das [226] heilige Sakrament drauf nehmen, sein Angesicht niemals wieder zu sehn.« – »Aber Kind, liebstes Kind!« sagte die Tante, »sei doch vernünftig; kannst du nur eine Einwendung erfinden?«
    »Ich habe Ihnen ja schon, denke ich, eine hinlängliche Einwendung gesagt,« antwortete Sophie. – »Welche denn?« rief die Tante, »ich erinnere mich keiner.« – »Ich habe Ihnen doch gewiß gesagt, gnädige Tante,« sagte Sophie, »daß er mich auf die gröbste und schändlichste Art behandelt hat.« »In der That, Kind,« antwortete sie, »das habe ich niemals gehört, oder doch nicht verstanden. Aber was willst du denn mit einer gröbsten und schändlichsten Art eigentlich sagen?« – »In Wahrheit, teuerste Tante,« sagte Sophie, »ich schäme mich fast, es Ihnen zu erzählen. Er faßte mich in seine Arme, zerrte mich auf die Ottomane, fuhr mit seiner Hand in meinen Busen und küßte ihn mit solcher Heftigkeit, daß ich davon noch bis auf diesen Augenblick das Merkmal auf meiner linken Brust trage.« – »Wirklich?« sagte Tante von Western. »Ja wirklich, gnädige Tante!« antwortete Sophie. »Mein Vater trat zu allem Glück in eben dem Augenblick ins Zimmer, sonst weiß der Himmel, was für unverschämte Grobheiten er sonst noch unternommen haben wurde.« – »Du setzest mich in Erstaunen und Verwirrung!« rief die Tante. »Keinem Frauenzimmer, das den Namen Western führt, ist jemals so begegnet worden, seitdem wir eine Familie sind. Einem Prinzen hätte ich die Augen ausgekratzt, wenn er sich solche Freiheiten gegen mich hätte herausnehmen wollen. Es ist unmöglich! Gewiß, Sophie, das mußt du erfunden haben, um mich gegen ihn aufzubringen.« – »Ich hoffe,« sagte Sophie, »gnädige Tante haben eine bessere Meinung von mir, um mich für fähig zu halten eine Unwahrheit zu sagen. Bei meiner Seele kann ich es Ihnen zuschwören, es ist wahr!« – »Ich hätte ihm das Herz durchstoßen, wenn ich dabei gewesen wäre,« erwiderte die Tante. »Aber sicherlich konnte er doch keine unehrliche Absicht haben, das ist unmöglich, das konnte er sich nicht unterstehn; überdem zeigen es seine Vorschläge, daß er keine hatte, denn die sind nicht nur ehrlich gemeint, sondern sehr großmütig noch dazu. Ich weiß nicht was ich denken soll! Unsere Zeiten sind gar zu frei. Einen ehrfurchtsvollen Handkuß hätte ich höchstens vor der Trauung erlauben können. Ich habe ehemals Liebhaber gehabt, und es ist so lange eben noch nicht her! Verschiedene Liebhaber, ob ich mich gleich niemals habe entschließen können zu heiraten! Aber die allergeringste Freiheit hätte ich niemals verstattet. Es ist eine sehr närrische Gewohnheit, die ich niemals hätte mitmachen mögen. Keine Mannsperson hat jemals etwas mehr von mir geküßt, als meine Wangen. Es ist schon genug in der Welt, daß man einem

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