Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
vorwalten lassen. Ach bester Vater und Onkel, ich bin nicht härter gestraft, als ich's verdient habe; und es soll das ganze Geschäft meines künftigen Lebens sein, das Glück zu verdienen, womit Sie mich überschütten; denn glauben Sie mir, mein teuerster Onkel, die Züchtigung ist an mir nicht verloren gewesen. Ob ich gleich ein großer Sünder gewesen bin, so bin ich doch kein verstockter; dem Himmel danke ich's, daß ich Zeit gehabt habe, mein vergangnes Leben zu überlegen; worin ich, obwohl ich mir keine große Bosheit vorzuwerfen habe, doch zu meiner Reue und Beschämung der Thorheiten und Laster mehr als zu viel gewahr werde; Thorheiten, welche von schrecklichen Folgen für mich selbst begleitet waren und mich bis zum äußersten Abgrunde des Verderbens führten.« – »Ich freue mich, mein liebstes Kind,« antwortete Alwerth, »dich so verständig sprechen zu hören; denn, [290] da ich weiß, daß Heuchelei (gütiger Gott, wie bin ich nicht durch die Heuchelei andrer angeführt worden!) daß Heuchelei niemals unter deine Fehler gehörte, so kann ich ohne Furcht alles glauben, was du mir sagst. Jetzt siehst du, lieber Tom, was für Gefahren die bloße Unvorsichtigkeit die Tugend unterwerfen kann; denn daß du die Tugend in einem hohen Grade liebst, davon bin ich nunmehr überzeugt. Vorsicht und Klugheit sind wirklich die Pflichten, die wir uns selbst schuldig sind: und wenn wir so sehr unsre eignen Feinde sind, sie aus den Augen zu setzen, so müssen wir uns nicht wundern, wenn es die Welt an der Erfüllung der ihrigen gegen uns ermangeln läßt; denn, wenn ein Mensch den Grund zu seinem eignen Verderben legt, so fürchte ich, werden andre nur zu geneigt sein, darauf zu bauen. Du sagst unterdessen, du hast deine Verirrungen eingesehn, und willst sie verbessern. Ich glaube dir ohne Bedenken, mein liebstes Kind, und sonach sollst du von diesem Augenblick an von mir nicht weiter daran erinnert werden. Erinnre dich selbst ihrer nur insoferne, als sie dich künftighin sie vermeiden lehren. Aber auch des erinnre dich zu deinem Troste, daß dieser große Unterschied unter denen ist, welche man unbefangenerweise der Unvorsichtigkeit zuschreiben, und unter denen, welche man bloß aus dem Laster herleiten kann: die ersten sind vielleicht gerade diejenigen, die am öftesten einen Mann ins Verderben ziehen; wenn er sich aber bessert, so wird sein guter Name endlich völlig wieder hergestellt; die Welt söhnt sich, obgleich nicht unmittelbar, jedoch mit der Zeit, wieder mit ihm aus, und er kann, mit einer Beimischung von Vergnügen, auf die Gefahren zurücksehen, denen er entgangen ist. Niederträchtige Büberei aber, mein lieber Sohn, wenn sie einmal entdeckt worden, richtet ihren Mann unwiederbringlich zu Grunde; die Flecken, welche diese hinterläßt, kann keine Zeit abwaschen. Die Vorwürfe der Menschen verfolgen einen solchen Unglückseligen allerorten; ihre Verachtung erniedrigt ihn, wo er sich öffentlich sehen läßt, und wenn ihn die Schande in die Einsamkeit treibt, so geht er dahin mit eben der Angst, womit ein müdes Kind, das sich vor Gespenstern fürchtet, die Gesellschaft verläßt, um allein zu Bette zu gehen. Hier verfolgt ihn sein verletztes Gewissen, wie der Geist eines Ermordeten die Einbildung des Mörders; Ruhe und Schlaf fliehen ihn wie falsche Freunde; wohin er seine Augen wendet, tritt ihm Entsetzen entgegen. Sieht er hinter sich, so folgt ihm unfruchtbare Reue auf den Fersen; sieht er vor sich, so starrt ihm unheilbare Verzweiflung ins Angesicht; bis er gleich einem verurteilten armen Sünder, der im Gefängnis schmachtet, seine gegenwärtige Lage verabscheut und doch die Folgen der Stunde fürchtet, die ihn daraus befreien soll. Tröste dich damit, mein Sohn, sag' ich, daß dies dein Fall nicht ist, und freue dich mit Dankbarkeit gegen ihn, der dir vergönnt hat, deine Irrtümer einzusehen, ehe sie das Verderben über dich gebracht haben, in welches die Beharrlichkeit, selbst nur in diesen Irrtümern, dich geführt haben müßte. Du bist ihnen entflohen, und die vor dir liegende Aussicht ist so beschaffen, daß Glückseligkeit [291] in deiner eignen Macht zu stehen scheint.« – Bei diesen Worten holte Jones einen tiefen Seufzer, und als Alwerth ihm solches verwies, sagte er: »Liebster Onkel, ich will Ihnen nichts verhehlen; ich fürchte eine Folge von meinen Vergehungen, die ich niemals im stande sein werde zu heben. O mein teuerster Onkel, ich habe einen Schatz verloren!« – »Du
Weitere Kostenlose Bücher