Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
er gerade in der Hand hielt, um mit Dickie spazierenzugehen oder zu segeln oder einfach zusammenzusitzen und zu plaudern. Es schien Dickie auch zu freuen, daß Tom sein italienisches Sprachstudium ernst nahm. Mehrere Stunden täglich saß Tom über seinen Grammatik- und Vokabelheften.
Tom schrieb an Mr. Greenleaf, er wohne jetzt für ein paar Tage bei Dickie, und Dickie habe etwas davon gesagt, daß er im Winter ein Weilchen heimfliegen wollte, und bis dahin könnte er ihn möglicherweise dazu überreden, doch länger drüben zu bleiben. Nun, da er bei Dickie wohnte, klang dieser Brief viel besser als sein erster, in dem gestanden hatte, daß er in einem Hotel in Mongibello abgestiegen sei. Tom schrieb auch, daß er die Absicht habe, sich Arbeit zu suchen, wenn das Geld zu Ende ginge, vielleicht in einem der Dorfhotels - eine beiläufige Bemerkung, die einem doppelten Zweck diente: sie rief Mr. Greenleaf ins Gedächtnis, daß sechshundert Dollar auch zu Ende gehen können, und sie machte ihm klar, daß Tom ein junger Mann war, willens und in der Lage, seinen Lebensunterhalt zu erarbeiten. Den gleichen guten Eindruck wünschte Tom auch bei Dickie zu hinterlassen, deshalb gab er ihm den Brief zu lesen, bevor er ihn zuklebte.
Eine weitere Woche verging mit herrlichem Sonnenschein und herrlich faulen Tagen. Toms größte körperliche Anstrengung bestand darin, daß er jeden Nachmittag vom Strand aus die steinernen Treppen emporklomm, seine größte geistige Leistung war das Bemühen, italienisch zu plaudern mit Fausto, dem dreiundzwanzigjährigen Italiener, den Dickie im Dorf aufgetrieben und dazu bestellt hatte, Tom dreimal wöchentlich italienischen Sprachunterricht zu erteilen.
Einmal fuhren sie in Dickies Segelboot nach Capri. Capri war gerade weit genug entfernt, daß es von Mongibello aus nicht mehr zu sehen war. Tom war voll gespannter Erwartung, aber Dickie war schlechter Laune und lehnte es ab, sich für irgend etwas zu begeistern. Er stritt sich mit dem Hafenmeister herum, als sie die »Pipistrello« vertäuten. Dickie wollte nicht einmal durch die wunderhübschen kleinen Straßen bummeln, die sternförmig von der Plaza ausgingen. Sie saßen in einem Café an der Plaza und tranken ein paar Fernet Brancas, und dann wollte Dickie sich auf den Heimweg machen, bevor es dunkel wurde, dabei hätte Tom sehr gerne die Hotelrechnung bezahlt, wenn Dickie einverstanden gewesen wäre, daß sie übernachteten. Irgendwann könnten sie ja noch einmal nach Capri fahren, dachte Tom. Er schrieb also diesen Tag ab und bemühte sich, nicht mehr daran zu denken.
Es kam ein Schreiben von Mr. Greenleaf, es hatte sich mit Toms Brief gekreuzt; Mr. Greenleaf wiederholte noch einmal seine Argumente für Dickies Rückkehr, wünschte Tom viel Erfolg und bat ihn um postwendende Nachricht über die erzielten Ergebnisse. Noch einmal griff Tom pflichteifrig zur Feder und antwortete. Der Brief Mr. Greenleafs war in einem so niederschmetternd geschäftlichen Ton gehalten - in einem Ton, als hätte es sich um die Verschickung von Bootsteilen gehandelt, dachte Tom -, daß es Tom nicht schwerfiel, im gleichen Stil zu antworten. Tom war leicht aufgekratzt, als er den Brief schrieb, denn es war kurz nach dem Mittagessen, und kurz nach dem Mittagessen waren sie stets leicht aufgekratzt vom Wein, es war ein köstlicher Zustand, er war mit ein paar Espressos und einem kleinen Gang rasch zu beseitigen, sie konnten ihn aber auch mit einem weiteren Gläschen Wein, während des üblichen Nachmittagsfaulenzens genippt, noch ein bißchen verlängern. Tom machte sich einen Spaß daraus, in dem Brief einen Hoffnungsschimmer aufleuchten zu lassen. Er schrieb im Stile Mr. Greenleafs:
»Wenn ich mich nicht irre, ist Richard in seinem Entschluß, noch einen Winter hier zu verleben, wankend geworden. Wie ich Ihnen zugesagt habe, werde ich alles tun, was in meiner Kraft steht, um ihn davon abzubringen, noch einen Winter hier zu verbringen, und mit der Zeit - auch wenn es vielleicht bis Weihnachten dauert - wird es mir möglicherweise gelingen, ihn dazu zu veranlassen, daß er in den Vereinigten Staaten bleibt, wenn er hinüberfährt.«
Tom mußte grinsen, als er das schrieb, denn er und Dickie sprachen davon, im Winter rund um die griechischen Inseln zu kreuzen, und Dickie hatte den Gedanken völlig aufgegeben, auch nur für einige Tage nach Hause zu fliegen, es sei denn, seine Mutter würde bis dahin ernstlich krank. Sie hatten auch schon darüber gesprochen,
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