Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
des Hausherrn. Dickie kam auf die Terrasse heraus, eine Hand schützend um das Feuerzeug gelegt, er mühte sich, seine Zigarette anzuzünden. Dickie hatte ein wunderschönes silbernes Feuerzeug, aber bei der leisesten Brise verweigerte es den Dienst. Schließlich zog Tom sein häßliches, flackerndes Ding hervor, häßlich und zuverlässig wie ein Stück Militärausrüstung, und gab ihm Feuer. Tom unterdrückte den Wunsch, einen Drink vorzuschlagen; es war nicht sein Haus, auch wenn die drei Flaschen Gin, die in der Küche standen, zufällig aus seiner Tasche bezahlt waren.
»Es ist schon nach zwei«, sagte Tom. »Wollen wir ein Stück laufen und bei der Post vorbeigehen?« Manchmal öffnete Luigi das Postamt um halb drei, manchmal erst um vier, man konnte es nie vorhersagen.
Schweigend gingen sie bergab. Was mochte Marge nur über ihn gesagt haben, grübelte Tom. Urplötzlich fühlte er Schuld auf sich lasten, es trieb ihm die Schweißperlen auf die Stirn, dieses unbestimmte und doch so heftige Schuldgefühl, gerade als hätte Marge Dickie mitgeteilt, daß Tom gestohlen oder sonst etwas Schändliches verbrochen hätte. So benimmt sich Dickie nicht nur, weil Marge sich kühl gezeigt hat, dachte Tom. Dickie bewegte sich mit seinem latschenden Bergabgang vorwärts, seine knochigen Knie vorgereckt, ein Gang, den auch Tom sich ganz unbewußt angeeignet hatte. Jetzt aber hielt Dickie das Kinn auf die Brust gesenkt, seine Hände waren tief in den Taschen seiner kurzen Hose vergraben. Er durchbrach sein Schweigen nur, um Luigi zu begrüßen und ihm für den Brief zu danken. Für Tom war keine Post da. Dickies Brief kam von einer Bank in Neapel, es war ein Kontoauszug, Tom erspähte das mit Maschinenschrift in eine leere Spalte getippte »$ 500,-«. Achtlos schob Dickie den Zettel in die Tasche und ließ den Umschlag in einen Papierkorb flattern. Die monatliche Benachrichtigung, daß Dickies Geld in Neapel eingegangen war, kombinierte Tom. Dickie hatte einmal erwähnt, daß seine Treuhandgesellschaft das Geld auf eine Bank in Neapel zu überweisen pflege. Sie gingen weiter bergab, und Tom nahm an, sie würden die Hauptstraße entlanggehen bis ans andere Ende des Ortes, dort, wo sie einen Bogen um die Felsen beschrieb, diesen Spaziergang hatten sie schon öfter gemacht, aber Dickie blieb plötzlich stehen bei den Stufen, die hinaufführten zu Marges Haus.
»Ich denke, ich geh mal ´rauf zu Marge«, sagte Dickie. »Es wird nicht lange dauern, aber es lohnt sich nicht, daß du auf mich wartest.«
»In Ordnung«, sagte Tom und fühlte sich auf einmal ganz elend. Er schaute Dickie zu, wie er die ersten steilen Stufen hinaufstieg, dann machte er auf dem Absatz kehrt und begann den Heimweg.
Als er den Berg etwa zur Hälfte erklommen hatte, blieb er stehen. Es trieb ihn, hinunterzugehen ins »Giorgio« und einen zu trinken (aber die Martinis im »Giorgio« waren schrecklich), und dann trieb es ihn, hinaufzugehen zu Marges Haus und mit dem Vorwand, sich bei ihr entschuldigen zu wollen, seiner Wut Luft zu machen, sie zu überraschen und zu ärgern. Plötzlich stand es vor seinem innern Auge, Dickie, der sie in den Armen hielt oder wenigstens berührte, jetzt, in diesem Augenblick, und halb wünschte er sich, es mit anzusehen, halb schauderte er zurück vor dem Gedanken, es mit ansehen zu müssen. Er drehte sich um und ging den Weg zurück bis zu Marges Tor, vorsichtig schloß er das Tor hinter sich, obwohl das Haus so weit oben lag, daß sie es unmöglich hätte hören können, und dann rannte er die Stufen hoch, zwei auf einmal. Er verlangsamte seinen Schritt, als er den letzten Treppenabsatz erreichte. »Hören Sie, Marge«, würde er sagen, »es tut mir leid, daß ich die dicke Luft hier verursacht habe. Wir haben Sie heute gebeten, mitzukommen, und wir meinen, was wir sagen. Ich meine es.«
Tom blieb stehen, als Marges Fenster in sein Blickfeld rückte: Dickies Arm war um ihre Taille geschlungen. Dickie küßte sie, kleine pickende Küsse auf ihre Backe, er lächelte sie an. Sie standen keine fünfzig Meter von Tom entfernt, aber das Zimmer war schattig und dunkel im Vergleich zu dem gleißenden Sonnenlicht, in dem er stand, und er mußte sich anstrengen, um etwas erkennen zu können. Jetzt hob sich Marges Gesicht voll dem von Dickie entgegen, als wäre sie geradezu in Ekstase geraten, und was Tom so anwiderte war, daß er wußte, Dickie meinte es ja gar nicht so, Dickie bediente sich nur dieses billigen, einleuchtenden,
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