Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
ein wundervoller Gedanke, heute nachmittag am Strand von Mongibello zu liegen und in der Sonne zu braten . . . Aber sie gingen nicht an den Strand. Sie stellten sich bei Dickie unter die Brause, dann fiel jeder auf sein Bett und schlief, bis Marge beide gegen vier Uhr weckte. Marge war pikiert, weil Dickie sie nicht per Telegramm benachrichtigt hatte, daß sie über Nacht in Rom blieben.
»Nicht, daß ich etwas dagegen hätte, daß ihr über Nacht wegbleibt, aber ich dachte, ihr wäret in Neapel, und in Neapel kann so allerhand passieren.«
»Ooch«, brummte Dickie gedehnt, und sein Blick streifte Tom. Er wünschte sie zum Teufel.
Tom hüllte sich geheimnisvoll in Schweigen. Er dachte nicht daran, Marge irgend etwas darüber zu erzählen, was sie in Rom gemacht hatten. Sollte sie doch denken, was sie wollte. Dickie hatte keinen Zweifel daran gelassen, daß es sehr schön gewesen war. Tom bemerkte, wie sie Dickie mißbilligend musterte, wohl wegen seines Katers, seines unrasierten Gesichts und wegen des Drinks, den er sich jetzt schon wieder genehmigte. Wenn Marge sehr ernst war, dann hatte sie so etwas im Blick, das sie alt und weise aussehen ließ trotz ihrer jugendlichen Aufmachung, trotz ihres windzerzausten Haars und ihres allgemein etwas pfadfinderhaften Auftretens. Jetzt hatte sie den Gesichtsausdruck einer Mutter oder einer älteren Schwester - die ewige weibliche Mißbilligung für das destruktive Spiel der kleinen Jungen und Männer. Sieh einer an! Oder ob es Eifersucht war? Sie schien zu spüren, daß Dickie sich innerhalb von vierundzwanzig Stunden fester an Tom angeschlossen hatte, als er sich je an sie anschließen würde, einfach weil Tom auch ein Mann war, ganz gleich, ob er sie liebte oder nicht, und er liebte sie ja nicht einmal. Nach wenigen Sekunden aber entspannten sich ihre Züge, und der Ausdruck verschwand aus ihren Augen. Dickie ließ Tom mit Marge auf der Terrasse allein. Tom erkundigte sich bei ihr nach den Büchern, die sie schrieb. Es sei ein Buch über Mongibello, sagte sie, mit eigenen Photos. Sie erzählte ihm, daß sie aus Ohio stamme, und zeigte ihm ein Bild ihres Vaterhauses, das sie im Portemonnaie bei sich trug. Es sei bloß ein einfaches Fertighaus, aber es sei eben ihr Daheim, sagte Marge mit einem Lächeln. Das Wort Fertighaus klang bei ihr wie ›fäahtichiaus‹, was Tom Vergnügen machte, denn genau das gleiche Wort pflegte sie anzuwenden, wenn sie von Betrunkenen sprach, und noch wenige Minuten zuvor hatte sie zu Dickie gesagt: »Du siehst ja völlig fäatichaus !« Ihre Sprache war abscheulich, dachte Tom, sowohl in der Wahl der Worte als auch in der Aussprache. Er mühte sich, ganz besonders freundlich zu ihr zu sein. Er hatte das Gefühl, er könnte es sich leisten. Er ging mit ihr bis ans Tor, und sie sagten sich freundlich auf Wiedersehen, aber keiner von beiden erwähnte auch nur mit einem Wort, daß sie heute oder morgen alle wieder zusammentreffen sollten. Ganz ohne Zweifel - Marge war ein bißchen böse auf Dickie.
10
Drei oder vier Tage lang sahen sie sehr wenig von Marge, nur unten am Strand, und sie war merklich kühler zu allen beiden, dort am Strand. Sie redete und lächelte genauso viel oder sogar noch mehr als sonst, aber es war jetzt eine Spur Höflichkeit darin, die alles abkühlte. Tom sah, daß Dickie betroffen war, allerdings nicht betroffen genug, wie es schien, um unter vier Augen mit ihr zu sprechen, denn seit Tom ins Haus gezogen war, hatte Dickie sie noch nicht allein gesprochen. Tom war noch keine Minute von Dickies Seite gewichen, seit er bei ihm wohnte.
Schließlich ließ Tom dann die Bemerkung fallen, daß Marge sich doch wohl eigenartig benähme, um Dickie zu zeigen, daß er nicht mit Blindheit geschlagen war in Sachen Marge.
»Ach, sie hat ihre Launen«, sagte Dickie. »Vielleicht arbeitet sie viel. Sie will niemanden sehen, wenn die Arbeitswut sie packt.«
Offenbar stand es um Marge und Dickie ganz genau so, wie er gleich zu Anfang vermutet hatte, dachte Tom. Marge war viel mehr angetan von Dickie als er von ihr.
Tom jedenfalls hielt Dickie bei bester Laune. Er konnte Dickie massenhaft lustige Geschichten erzählen über Leute in New York, einige wahre, viele erfundene. Täglich segelten sie in Dickies Boot. Niemals fiel eine Bemerkung über das Datum der Abreise Toms. Alles deutete darauf hin, daß seine Gesellschaft Dickie angenehm war. Tom ging Dickie aus dem Wege, wenn Dickie malen wollte, und stets war er bereit hinzuwerfen, was
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