Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
Tom nicht ins Museum der Künste führte, wo es echte da Vincis und El Grecos gäbe, sagte er, aber sie könnten das ja beim nächstenmal ansehen. Den größten Teil des Nachmittags hatte Dickie damit ausgefüllt, über Freddie Miles zu reden, und Tom hatte es ebenso uninteressant gefunden wie Freddies Gesicht. Freddie war der Sohn eines amerikanischen Kettenhoteliers, außerdem war er Bühnendichter - selbsternannter, schloß Tom, denn er hatte nur zwei Stücke geschrieben, und den Broadway hatte er nie gesehen. Freddie besaß ein Haus in Cagnes-sur-mer, und Dickie war wochenlang bei ihm gewesen, ehe er nach Italien kam.
»Das ist es, was ich liebe«, sagte Dickie überschwenglich in der Galleria, »an einem Tisch draußen zu sitzen und die Vorübergehenden zu beobachten. Es wirkt sich irgendwie auf die Einstellung zum Leben aus. Die Angelsachsen machen einen großen Fehler, indem sie nicht von einem Straßentischchen aus Leute anstarren.«
Tom nickte. Das hatte er schon einmal gehört. Er wartete auf etwas Tiefgründiges und Originales von Dickie. Dickie war hübsch. Er fiel auf mit seinem langen, feingeschnittenen Gesicht, seinen lebendigen, intelligenten Augen, der stolzen Haltung, die er zur Schau trug, ganz gleich, wie er gekleidet war. Jetzt trug er uralte Sandalen und ziemlich schmutzige weiße Hosen, aber er saß da, als gehörte ihm die Galleria, und er plauderte italienisch mit dem Ober, der die Espressos brachte.
»Ciao!« rief er einem Italienerjungen zu, der vorbeilief.
»Ciao, Dickie!«
»Er wechselt sonnabends für Marge die Reiseschecks ein«, klärte Dickie Tom auf.
Ein gutgekleideter Italiener begrüßte Dickie mit einem herzlichen Händedruck und setzte sich zu ihnen an den Tisch. Tom lauschte ihrer italienischen Unterhaltung, hier und da fing er ein bekanntes Wort auf. Müdigkeit begann in ihm hochzusteigen.
»Möchten Sie nach Rom fahren?« fragte Dickie ihn plötzlich.
»Natürlich«, sagte Tom. »Jetzt gleich?« Er stand auf und griff nach seinem Geld, um die kleinen Rechnungszettelchen zu bezahlen, die der Ober unter ihre Kaffeetassen geklemmt hatte.
Der Italiener hatte einen langgestreckten grauen Cadillac mit Jalousien, einer Viertonhupe und einem plärrenden Radio; es schien ihn und Dickie zu befriedigen, daß es ihnen gelang, dieses Radio noch zu übertönen. Sie erreichten die Stadtgrenze Roms in etwa zwei Stunden. Tom richtete sich auf, als sie über die Via Appia rollten, ihm zuliebe, wie der Italiener sagte, weil Tom sie noch nie gesehen hatte. Stellenweise war die Straße holprig. Das waren Strecken, auf denen man das Pflaster der alten Römer freigelegt hatte, um den Menschen zu zeigen, was für Straßen die Römer hatten, sagte der Italiener. Die flachen Felder links und rechts lagen verlassen im Zwielicht, wie ein altertümlicher Friedhof, dachte Tom, auf dem nur noch ein paar Grabsteine oder die Überreste von Grabsteinen standen. Der Italiener setzte sie irgendwo in einer Straße ab und verabschiedete sich urplötzlich.
»Er hat es eilig«, sagte Dickie. »Er muß zu seiner Freundin und muß wieder verschwinden, ehe der Mann nach Hause kommt um elf. Dort ist ja das Varieté, das ich gesucht habe. Kommen Sie.«
Sie kauften sich Karten für die Abendvorstellung. Es war noch eine Stunde Zeit bis zum Beginn, und sie gingen zur Via Veneto, setzten sich vor einem der Cafés an einen Tisch und bestellten Americanos. Dickie kannte niemanden in Rom, stellte Tom fest, jedenfalls keinen der Vorübergehenden, und sie sahen Hunderte von Italienern und Amerikanern vorbeigehen. Von der Varietévorstellung bekam Tom herzlich wenig mit, aber er gab sich größte Mühe. Dickie schlug vor, zu gehen, noch ehe die Vorstellung beendet war. Dann nahmen sie eine Carozza und machten eine Stadtrundfahrt, von einem Brunnen zum anderen, durch das Forum und rund um das Kolosseum. Der Mond war aufgegangen, Tom fühlte sich immer noch schläfrig, aber diese Schläfrigkeit dämpfte kaum die Erregung, daß er nun zum erstenmal in Rom war, und versetzte ihn in empfängliche, milde Stimmung. Zusammengesunken hockten sie in der Carozza, jeder hatte einen Sandalenfuß über ein Knie gelegt, und es kam Tom vor, als blickte er in den Spiegel, wenn er Dickies Bein und seinen eigenen aufgestützten Fuß daneben sah. Sie waren beide gleich groß und hatten auch so ziemlich das gleiche Gewicht, Dickie hatte vielleicht ein bißchen mehr, und sie trugen Bademäntel, Strümpfe und wahrscheinlich auch Hemden von
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