Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
ja. Er war nicht so betrunken, daß er nicht mehr fahren konnte, sonst hätte ich ihn nicht allein fahren lassen.«
Der Offizier stellte eine weitere Frage, und Tom tat, als verstünde er nicht ganz. Der Offizier fragte noch einmal, er wählte die Worte anders, und er tauschte ein Lächeln mit dem Jüngeren. Tom blickte leicht verstimmt vom einen zum anderen. Der Offizier wollte wissen, welcher Art seine Beziehungen zu Freddie gewesen wären.
»Ein Freund«, sagte Tom. »Kein sehr enger Freund. Etwa zwei Monate lang hatte ich ihn nicht gesehen und auch nichts von ihm gehört. Es hat mich schwer getroffen, als ich heute morgen von dem Unglück erfuhr.« Als Ausgleich für die Mängel seiner ziemlich primitiven Ausdrucksweise machte Tom ein bekümmertes Gesicht. Er glaubte, es funktionierte. Er dachte, das wäre doch ein sehr oberflächliches Verhör, und im nächsten Moment würden sie sicherlich aufstehen und gehen. »Wann genau wurde er denn ermordet?« fragte Tom. Der Offizier schrieb noch. Er zog seine buschigen Augenbrauen in die Höhe. »Anscheinend gleich nachdem der Signor Sie verlassen hatte, denn der Arzt meint, er wäre schon mindestens seit zwölf Stunden tot, vielleicht auch länger.«
»Wann hat man ihn gefunden?«
»Heute früh bei Sonnenaufgang. Ein paar Arbeiter, die auf der Straße gingen.«
»Dio mio!« murmelte Tom.
»Er hat nichts davon erwähnt, daß er zur Via Appia fahren wollte, gestern, als er Ihre Wohnung verließ?«
»Nein«, sagte Tom.
»Was haben Sie gemacht, als Signor Mie-lais gegangen war?«
»Ich bin hiergeblieben«, sagte Tom, er gestikulierte mit beiden Händen, so wie Dickie es auch gemacht hätte, »dann habe ich ein Nickerchen gemacht, und später bin ich ein bißchen an die Luft gegangen, so gegen acht oder halb neun.« Ein Mann aus dem Hause, Tom wußte nicht, wie er hieß, hatte ihn gestern abend gesehen, als er etwa um dreiviertel neun nach Hause gekommen war, sie hatten sich gegenseitig guten Abend gewünscht.
»Sie sind allein spazierengegangen?«
»Ja.«
»Und Signor Mie-lais ist allein hier abgefahren? Er hatte nicht irgendeine Verabredung, von der Sie wußten?«
»Nein. Er hat nichts davon erwähnt.« Tom überlegte, ob Freddie wohl Freunde bei sich gehabt hatte im Hotel oder wo immer er wohnte. Tom hoffte, die Polizei würde ihn nicht irgendwelchen Freunden Freddies gegenüberstellen, die Dickie kannten. Jetzt würde sein Name - Richard Greenleaf - in den italienischen Zeitungen stehen, dachte Tom, und seine Adresse auch. Er müßte umziehen. Verfluchter Mist. Er fluchte vor sich hin. Der Polizeioffizier blickte ihn an, aber es sah aus wie ein gemurmelter Fluch gegen das traurige Geschick, das Freddie ereilt hatte, dachte Tom.
»So . . .«, sagte der Offizier lächelnd und klappte den Block zu.
»Sie meinen, es waren . . .«, Tom suchte nach dem Ausdruck für Halbstarke, ». . . gewalttätige Burschen, ja? Gibt es irgendwelche Anhaltspunkte?«
»Wir suchen jetzt den Wagen nach Fingerabdrücken ab. Vielleicht ist er von jemandem ermordet worden, den er ein Stück mitgenommen hat. Der Wagen ist heute früh an der Piazza die Spagna aufgefunden worden. Bis heute abend werden wir sicherlich ein paar Spuren gefunden haben. Haben Sie vielen Dank, Signor Greenleaf.«
»Di niente! Wenn ich Ihnen sonst noch behilflich sein kann . . .«
Der Offizier wandte sich an der Tür um. »Können wir Sie während der nächsten Tage hier erreichen, falls wir noch weitere Fragen haben?«
Tom zögerte. »Ich hatte vor, morgen nach Mallorca zu fahren.«
»Aber vielleicht müssen wir Sie fragen, wer der und der ist, den wir verdächtigen«, erklärte der Offizier. »Sie können uns möglicherweise sagen, in welcher Beziehung die Person zu dem Ermordeten stand.« Er gestikulierte.
»Ja, gut. Aber ich glaube nicht, daß ich Signor Miles so gut gekannt habe. Wahrscheinlich hat er in der Stadt noch engere Freunde als mich.«
»Wen?« Der Offizier machte die Tür wieder zu und holte seinen Block hervor.
»Ich weiß es nicht«, sagte Tom. »Ich weiß nur, daß er mehrere Freunde hier gehabt haben muß, Leute, die ihn besser kennen als ich.«
»Ich bedaure sehr, aber wir müssen Sie dennoch bitten, in den nächsten Tagen in Reichweite zu bleiben«, wiederholte er ruhig, so als gäbe es da gar keine Diskussion, wenn Tom auch Amerikaner sei. »Wir werden Ihnen Bescheid geben, sobald Sie reisen können. Es tut mir leid, wenn Sie Reisepläne hatten. Vielleicht ist noch Zeit genug,
Weitere Kostenlose Bücher