Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
Pernods getrunken, allerhöchstens. Er wußte, das war alles nur Einbildungssache, und er hatte einen Kater, weil er sich gestern absichtlich eingebildet hatte, er tränke sehr viel mit Freddie. Und jetzt, wo das doch gar nicht mehr nötig war, bildete er sich das immer noch ein, unbewußt.
Das Telephon klingelte, und Tom nahm den Hörer ab und sagte mürrisch: »Pronto.«
»Signor Greenleaf?« fragte die italienische Stimme.
»Si.«
»Qui parla la stazione polizia numero ottantatre. Lei è un amico di un americano chi se chiama Fre-derick Mie-lais?«
»Frederick Miles? Si«, sagte Tom.
Die Stimme teilte ihm in raschen, knappen Worten mit, daß die Leiche des Frederick Mie-lais heute morgen auf der Via Appia Antica gefunden worden sei, und Signor Mie-lais habe ihn doch gestern irgendwann besucht, nicht wahr?
»Ja, das stimmt.«
»Um welche Zeit genau?«
»Etwa von zwölf bis . . . na, vielleicht fünf oder sechs Uhr nachmittags, ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen.«
»Würden Sie so freundlich sein, uns ein paar Fragen zu beantworten? . . . Nein, das ist nicht nötig, Sie brauchen sich nicht herzubemühen. Der Untersuchungsbeamte wird Sie aufsuchen. Würde es Ihnen heute um elf Uhr passen?«
»Ich werde Ihnen sehr gern behilflich sein, soweit ich kann«, sagte Tom mit genau dem richtigen Maß von Erregung in der Stimme, »aber könnte der Beamte nicht gleich kommen? Ich muß unbedingt um zehn aus dem Haus gehen.«
Am anderen Ende war ein Seufzen zu hören, und die Stimme sagte, es sei zweifelhaft, aber sie wollten sich bemühen. Falls sie aber nicht vor zehn kommen könnten, sei es äußerst wichtig, daß er nicht wegginge.
»Va bene«, sagte Tom ergeben und hing auf.
Zur Hölle mit ihnen! Jetzt würde er den Zug und das Schiff verpassen. Nichts wünschte er sich mehr, als wegzukommen, Rom zu verlassen, seine Wohnung zu verlassen. Er machte sich daran, noch einmal zu rekapitulieren, was er der Polizei zu erzählen gedachte. Es war ja alles so simpel, es langweilte ihn. Es war die reine Wahrheit. Sie hatten gezecht, Freddie hatte ihm von Cortina erzählt, sie hatten alle beide sehr viel erzählt, und dann war Freddie gegangen, vielleicht ein bißchen beschwipst, aber sehr guter Stimmung. Nein, er wußte nicht, wohin Freddie dann gehen wollte. Er hatte angenommen, daß Freddie für den Abend verabredet war.
Tom ging ins Schlafzimmer und stellte eine Leinwand, die er vor ein paar Tagen in Angriff genommen hatte, auf die Staffelei. Die Farbe auf der Palette war noch feucht, denn er hatte sie in der Küche in einem Topf mit Wasser aufbewahrt. Er mischte sich noch etwas Blau und Weiß und fing an, den graublauen Himmel einzupinseln. Auch dieses Bild war in Dickies strahlend rotbraunen und klarweißen Tönen gehalten - die Dächer und Mauern Roms vor Toms Fenster. Die einzige Abweichung war der Himmel, denn der Winterhimmel über Rom war so düster, sogar Dickie hätte ihn graublau und nicht blau gemalt, dachte Tom. Er runzelte die Stirn, genau wie Dickie beim Malen die Stirn runzelte.
Wieder schrillte das Telephon.
»Verdammt und zugenäht!« murmelte Tom, als er an den Apparat ging. »Pronto!«
»Pronto! Fausto!« sagte die Stimme. »Come sta?« Und das vertraute glucksende Jungenlachen.
»Oh-h, Fausto! Bene, grazie! Entschuldige«, fuhr Tom auf italienisch fort, in Dickies lachendem, zerstreutem Ton, »ich hab´ gerade versucht, zu malen - versucht.« Es sollte so klingen, wie Dickies Stimme möglicherweise klingen würde, wenn er einen Freund wie Freddie verloren hätte, gleichzeitig aber auch wie Dickies Stimme an einem ganz gewöhnlichen Vormittag der intensiven Arbeit.
»Kannst du mit mir essen?« fragte Fausto. »Mein Zug nach Mailand geht um vier Uhr fünfzehn.«
Tom grunzte wie Dickie. »Ich bin gerade auf dem Sprung, will nach Neapel. Ja, sofort, in zwanzig Minuten!« Wenn er Fausto jetzt entgehen könnte, dachte er, dann brauchte er ihm überhaupt nichts davon zu sagen, daß die Polizei bei ihm angerufen hatte. Die Meldungen über Freddie würden vor Mittag nicht in den Zeitungen stehen, vielleicht noch später.
»Aber ich bin hier! In Rom! Wo wohnst du? Ich bin am Bahnhof!« sagte Fausto lebhaft und lachte.
»Woher hast du meine Telephonnummer?«
»Ah! Allora, ich habe die Auskunft angerufen. Man sagte mir, du gäbest die Telephonnummer nicht bekannt, aber ich habe dem Mädchen eine Geschichte erzählt von einem Lotteriegewinn, den du in Mongibello gemacht hast. Ich habe keine
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