Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
wußte der italienische Bootsvermieter nicht mehr genau, an welchem Tage eines seiner Boote nicht zurückgebracht worden war. Und selbst wenn er es noch wußte, würden vielleicht die Hotels nicht überprüft. Vielleicht war die italienische Polizei einfach nicht so sehr daran interessiert. Vielleicht, vielleicht, vielleicht auch nicht.
Tom faltete seine Zeitungen zusammen, bezahlte und ging.
Am Empfang des Hotels fragte er, ob irgendwelche Nachrichten für ihn da wären.
»Si, signor. Questo e questo e questo . . .« Der Angestellte legte sie vor ihn auf den Tisch wie ein Kartenspieler, der eine Gewinnhand ausbreitet.
Zwei von Van. Eine von Robert Gilbertson. (Stand da nicht ein Robert Gilbertson in Dickies Adressenverzeichnis? Gleich nachprüfen.) Eine von Marge. Tom griff nach dem Zettel und las sorgsam den italienischen Text: Signorina Sherwood hat um fünfzehn Uhr fünfunddreißig angerufen und wird noch einmal anrufen. Es war ein Ferngespräch aus Mongibello.
Tom nickte, er sammelte alles auf. »Vielen Dank.« Ihm gefielen die Blicke des Angestellten hinter dem Schalter nicht. Italiener waren so verdammt neugierig!
Oben kauerte er sich in einen Sessel, rauchte und dachte nach. Er versuchte sich auszumalen, was nach den Gesetzen der Logik passieren würde, wenn er gar nichts unternahm, und was er durch eigene Handlungen passieren lassen könnte. Marge würde sehr wahrscheinlich nach Rom kommen. Sie hatte offenbar die römische Polizei angerufen, um seinen Aufenthaltsort zu erfahren. Wenn sie käme, müßte er ihr als Tom entgegentreten und versuchen, ihr überzeugend klarzumachen, daß Dickie für ein Weilchen ausgegangen sei, wie er es mit Freddie auch gemacht hatte. Und wenn es mißlang - unruhig rieb Tom seine Handflächen gegeneinander. Er durfte nicht mit Marge zusammentreffen, das war alles. Jetzt nicht mehr, wo sich da die Bootsgeschichte zusammenbraute. Alles würde kaputtgehen, wenn er mit ihr zusammenträfe. Alles wäre zu Ende! Aber wenn er einfach bloß stillsäße, würde überhaupt nichts geschehen. Es war einfach nur dieser Moment jetzt, bloß diese kleine Krise mit der Bootsgeschichte und dem ungeklärten Mord an Freddie Miles, was alles so schwierig machte. Aber es würde ihm absolut nichts passieren, wenn es ihm auch weiterhin gelänge, bei jedem das Richtige zu tun und zu sagen. Später dann würde alles wieder glatt gehen. Griechenland, oder Indien. Ceylon. Irgendwo weit, weit weg, wo ganz bestimmt kein alter Freund auftauchen und an seine Tür klopfen konnte. Was für ein Idiot war er doch gewesen, zu glauben, er könnte in Rom bleiben! Ebensogut hätte er sich die Grand Central Station aussuchen oder sich im Louvre ausstellen können!
Er rief die Stazioni Termini an und erkundigte sich, was für Züge morgen nach Neapel fuhren. Vier oder fünf gab es. Er schrieb sich alle Abfahrtszeiten auf. Noch fünf Tage, bis ein Schiff von Neapel nach Mallorca abging, und diese Zeit würde er in Neapel absitzen, dachte er. Alles, was er brauchte, war die Genehmigung der Polizei, und wenn nichs passierte bis morgen, dann müßte er sie wohl bekommen. Sie konnten einen ja nicht ewig festhalten, noch dazu ohne jedes Verdachtsmoment, bloß um einem gelegentlich mal eine Frage an den Kopf zu werfen! Langsam kam er zu der Überzeugung, man ließe ihn morgen frei, es sei nur logisch, daß man ihn morgen freilassen müßte.
Er hob den Telephonhörer ab und sagte der Zentrale, daß er das Gespräch entgegennehmen würde, wenn Miss Marjorie Sherwood noch einmal anriefe. Wenn sie noch einmal anriefe, dachte er, dann könnte er sie innerhalb von zwei Minuten davon überzeugen, daß alles in Ordnung sei, daß die Ermordung Freddies ihn nicht das geringste anginge, daß er nur ins Hotel gegangen sei, um lästigen Anrufen völlig fremder Menschen zu entgehen und doch für die Polizei erreichbar zu sein, für den Fall, daß man ihn um die Identifizierung festgenommener Verdächtiger bitten wollte. Er würde ihr erzählen, daß er morgen oder übermorgen nach Griechenland flöge, so daß es also ganz sinnlos sei, daß sie nach Rom käme. Übrigens, er konnte ja auch nach Palma fliegen von Rom aus. Auf diesen Gedanken war er bis jetzt überhaupt noch nicht gekommen.
Er legte sich aufs Bett, er war müde, aber ausziehen wollte er sich noch nicht, er hatte das Gefühl, daß heute abend noch irgendwas geschehen würde. Er versuchte, sich auf Marge zu konzentrieren. Er stellte sich vor, daß Marge jetzt, in diesem
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