Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
Portier Briefmarken und steckte die Briefe in den Kasten.
Dann ging er spazieren. Sein Verlangen, nach Capri zu fahren, hatte sich verflüchtigt. Es war Viertel nach vier nachmittags. Ziellos lief er umher. Schließlich blieb er vor dem Schaufenster eines Antiquariats stehen und starrte minutenlang auf ein düsteres Ölgemälde mit zwei bärtigen Heiligen, die im Mondschein von einem dunklen Berge herabstiegen. Er ging hinein in den Laden und kaufte es zu dem Preise, den ihm der Mann als ersten nannte. Das Bild war noch nicht einmal gerahmt, und er trug es, zusammengerollt unter den Arm geklemmt, mit sich in sein Hotel.
21
Stazione Polizia, 83
Roma, 14. Februar
»Sehr geehrter Signor Greenleaf,
Sie werden dringend gebeten, nach Rom zurückzukehren und einige wichtige Fragen bezüglich des Thomas Ripley zu beantworten. Ihre Anwesenheit in Rom würde von uns sehr begrüßt und wäre von großem Nutzen für unsere Ermittlungen.
Sollten Sie nicht binnen einer Woche bei uns vorsprechen, wären wir gezwungen, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, die weder Ihnen noch uns angenehm wären.
Ihr sehr ergebener Cap. Enrico Farrara«
Sie suchten also immer noch nach Tom. Vielleicht aber bedeutete das auch, daß es im Fall Miles irgend etwas Neues gab, dachte Tom. Die Italiener pflegten einen Amerikaner nicht mit solchen Worten zu sich zu bestellen. Der letzte Absatz war eine unverhüllte Drohung. Und natürlich wußten sie inzwischen auch über den gefälschten Scheck Bescheid.
Er stand da, den Brief in der Hand, und sah sich verstört im Zimmer um. Sein Blick blieb an seinem Bild im Spiegel hängen: seine Mundwinkel zogen sich nach unten, seine Augen blickten erschrocken und verängstigt. Er sah aus, als versuchte er, die Regungen der Furcht und des Erschreckens durch seine Pose und seinen Gesichtsausdruck zu überspielen, und weil er so aussah, ganz ungewollt und echt, hatte er plötzlich noch einmal so große Angst. Er faltete den Brief zusammen und steckte ihn ein, dann holte er ihn wieder aus der Tasche hervor und zerfetzte ihn.
In fliegender Hast begann er zu packen, er riß Morgenrock und Schlafanzug vom Haken an der Badezimmertür, schmiß seine Toilettenutensilien in das Lederetui, das Dickies Monogramm trug und das Marge ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. Plötzlich erstarrte er. Er mußte Dickies Sachen loswerden, alle. Hier? Jetzt? Sollte er sie auf dem Rückweg nach Neapel über Bord werfen?
Die Frage beantwortete sich nicht von selber, aber er wußte plötzlich, was er zu tun hatte, was er tun würde, wenn er wieder auf dem italienischen Festland wäre. Er würde nicht in die Nähe Roms kommen. Er konnte geradewegs nach Mailand oder Turin hinauffahren, vielleicht auch irgendwo in die Nähe von Venedig, dort konnte er einen Wagen kaufen, einen gebrauchten mit möglichst viel Kilometern auf dem Tacho. Er würde sagen, daß er in den letzten zwei oder drei Monaten ganz Italien durchstreift hätte. Daß man nach Thomas Ripley suchte, davon sei ihm nichts zu Ohren gekommen. Thomas Ripley.
Er packte weiter. Das war das Ende Dickie Greenleafs, das war ihm klar. Er haßte den Gedanken, wieder Thomas Ripley zu sein, haßte es, ein Niemand zu sein, haßte es, seine alten Gewohnheiten wieder anzunehmen, zu spüren, daß man wieder auf ihn herabsah, daß man sich mit ihm langweilte, es sei denn, er gab eine Schau wie ein Clown, haßte es, sich inkompetent zu fühlen und unfähig, etwas mit sich anzufangen, außer daß er andere Leute für wenige Augenblicke zu amüsieren verstand. Er haßte es, wieder in sein altes Ich zu schlüpfen, so wie er es gehaßt hätte, einen schäbigen alten Anzug wieder anzuziehen, einen fettbekleckerten, ungebügelten Anzug, der nicht einmal neu besonders gut gewesen war. Seine Tränen tropften auf Dickies blauweiß gestreiftes Hemd, das zuoberst im Koffer lag, sauber und gestärkt, es sah noch genauso neu aus wie damals, als er es zum erstenmal in Mongibello aus Dickies Schublade geholt hatte. Aber es trug in kleinen roten Buchstaben Dickies Monogramm auf der Tasche. Während des Packens begann er trotzig diejenigen von Dickies Sachen herzuzählen, die er noch behalten konnte, weil sie kein Monogramm trugen oder weil niemandem mehr bekannt sein würde, daß sie Dickie und nicht ihm gehörten. Nur Marge würde vielleicht das eine oder andere wiedererkennen, zum Beispiel das neue Notizbuch aus blauem Leder, in das Dickie erst ein paar Adressen hineingeschrieben hatte und das er
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