Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
Garderobe, der gut sei, und seiner Gesundheit, die ebenfalls nichts zu wünschen übrigließe, und er fragte sie, ob sie das Emaille-Triptychon bekommen hätte, das er ihr von einem römischen Antiquariat aus vor ein paar Wochen geschickt hatte. Während er tippte, dachte er darüber nach, was er wohl mit Thomas Ripley machen sollte. Der Anruf war ihm sehr höflich und leidenschaftslos erschienen, aber es war nicht ratsam, sich darauf zu verlassen. Er sollte Toms Paß nicht einfach in einer Tasche seines Koffers liegenlassen, nicht einmal verpackt in einem Haufen alter Steuerunterlagen Dickies, die ihn den Blicken eines normalen Betrachters entzogen. Er sollte ihn im Futter des neuen Antilopenkoffers verstecken, beispielsweise, wo man ihn nicht sah, selbst wenn der Koffer völlig leergemacht würde, wo er aber innerhalb weniger Sekunden griffbereit war, wenn es nötig wurde. Denn es könnte eines Tages nötig werden. Es könnte eine Zeit kommen, da es gefährlicher war, Dickie Greenleaf zu sein als Tom Ripley.
Tom verschwendete den halben Vormittag auf den Brief an die Greenleafs. Er hatte das Gefühl, daß Mr. Greenleaf langsam unruhig wurde und ungeduldig mit Dickie, und das war nicht die gleiche Ungeduld, die er damals gezeigt hatte, als Tom in New York bei ihm war, jetzt war die Sache viel ernster. Tom wußte, Mr. Greenleaf sah in Dickies Umsiedlung von Mongibello nach Rom nichts als eine launische Schrulle. Toms Bemühungen, sein Malen und seine Studien in Rom als ernsthafte Arbeit darzustellen, waren ganz und gar danebengegangen. Mit einem einzigen vernichtenden Satz hatte Mr. Greenleaf das alles weggewischt: es täte ihm leid, so ungefähr hieß es, daß Dickie sich überhaupt immer noch mit der Malerei abquälte, denn mittlerweile hätte er doch einsehen müssen, daß eine schöne Gegend oder ein Tapetenwechsel allein noch keinen Maler ergäben. Auch war Mr. Greenleaf nicht sehr beeindruckt davon gewesen, daß Tom solches Interesse für die Burke-Greenleaf-Prospekte bekundete, die Mr. Greenleaf ihm geschickt hatte. Tom war noch weit entfernt von dem, was er sich für diesen Zeitpunkt errechnet hatte: daß er Mr. Greenleaf dazu gebracht hätte, ihm aus der Hand zu fressen, daß er all die frühere Nichtachtung und Gleichgültigkeit Dickies seinen Eltern gegenüber wettgemacht hätte und daß er Mr. Greenleaf um einen Zuschuß bitten könnte und ihn erhalten würde. Unmöglich konnte er Mr. Greenleaf jetzt um Geld angehen.
»Sieh Dich vor, Mutsch [schrieb er]. Paß auf diese Erkältungen auf. [Sie hatte geschrieben, daß sie in diesem Winter vier Erkältungen durchgemacht und Weihnachten im Bett zugebracht hätte, den rosa Wollschal um den Hals, den er ihr als eins seiner Weihnachtsgeschenke geschickt hatte.] Hättest Du ein Paar von diesen wunderbaren Wollstrümpfen getragen, die Du mir geschickt hast, dann hättest Du die Erkältungen nie bekommen. Ich habe mich den ganzen Winter über nicht ein einziges Mal erkältet, und das heißt etwas hier im europäischen Winter . . . Mutsch, was kann ich Dir mal schicken? Ich kaufe so gern für Dich ein . . .«
20
Fünf Tage vergingen, fünf ruhige, einsiedlerische, aber sehr angenehme Tage, an denen er Palermo durchstreifte, hier und da anhielt, um sich für eine Stunde oder so in ein Café oder Restaurant zu setzen und seine Reiseführer oder die Zeitungen zu lesen. An einem trüben Tage nahm er eine Carozza und fuhr weit hinaus zum Monte Pellegrino, um das imposante Grabmal der Santa Rosalia zu besichtigen, der Schutzgöttin Palermos, dargestellt in einer berühmten Statue, von der Tom schon in Rom Bilder gesehen hatte, sie lag da in einer jener Posen erstarrter Ekstase, denen die Psychiater andere Namen geben. Tom fand das Grabmal höchst erheiternd. Kaum konnte er sein Kichern unterdrücken, als er die Statue sah: den üppigen, zurückgelehnten Frauenkörper, die tastenden Hände, die leeren Augen, die leichtgeöffneten Lippen. Es fehlte nichts, nur das Geräusch ihres keuchenden Atems. Marge fiel ihm ein. Er besichtigte einen byzantinischen Palast, die Bibliothek Palermos mit ihren Gemälden und alten, zerfressenen Handschriften in Glaskästen, und er erforschte die Hafenanlagen, die in seinem Reiseführer genauestens aufgezeichnet waren. Er zeichnete ein Gemälde von Guido Reni ab, ohne besonderen Zweck, und er lernte einen langen Ausspruch von Tasso auswendig, der als Inschrift auf einem der öffentlichen Gebäude stand. Er schrieb Briefe an Bob Delancey
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