Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
höchstwahrscheinlich von Marge bekommen hatte. Aber es lag nicht in seiner Absicht, Marge wiederzusehen.
Tom bezahlte im Hotel »Palma« seine Rechnung, aber auf das nächste Schiff zum Festland hinüber mußte er bis zum ändern Tag warten. Er bestellte die Schiffskarte auf den Namen Greenleaf, und er dachte dabei, es wäre in seinem Leben wohl das letztemal, daß er eine Karte auf den Namen Greenleaf bestellte, aber andererseits - vielleicht war es auch nicht das letztemal. Er konnte sich einfach nicht von dem Gedanken trennen, das alles könnte vorübergehen. Es könnte, ja. Und allein schon deshalb war es sinnlos, zu verzweifeln. Es war sowieso sinnlos, zu verzweifeln, sogar als Tom Ripley. Tom Ripley war niemals wirklich verzweifelt gewesen, wenn er auch oft genug danach ausgesehen hatte. Hatte er denn nichts gelernt in diesen letzten Monaten? Wenn man fröhlich oder melancholisch oder sehnsüchtig oder nachdenklich oder liebenswürdig sein wollte, dann brauchte man bloß mit jeder Bewegung diese Dinge darzustellen.
Ein sehr erfreulicher Einfall kam ihm, als er an seinem letzten Morgen in Palermo erwachte: wenn er nun Dickies gesamte Habe unter irgendeinem Namen an den American Expreß in Venedig schickte, konnte er sie irgendwann später wieder abholen, wann immer er wollte oder mußte, er brauchte sie auch überhaupt nie abzuholen. Jetzt war ihm viel wohler, da er wußte, daß Dickies gute Hemden, sein Kästchen mit all den Manschettenknöpfen und dem Silberkettchen und der Armbanduhr in sicherem Gewahrsam sein würden und nicht auf dem Grunde des Tyrrhenischen Meeres oder in einer sizilianischen Mülltonne.
Nachdem er die Monogramme von Dickies beiden Koffern abgekratzt hatte, schickte er also die Koffer, gut verschlossen, an den American Expreß AG, Venedig, außerdem noch zwei Gemälde, die er in Palermo angefangen hatte, er schickte alles auf den Namen Robert S. Fanshaw mit der Bitte um Aufbewahrung auf Abruf. Das einzige, das einzig Verräterische, was er bei sich behielt, das waren Dickies Ringe, er steckte sie ganz unten in einen häßlichen braunen Lederbeutel, der Eigentum von Thomas Ripley war, den er jahrelang irgendwie mit sich herumgeschleppt hatte, wohin er auch immer gereist oder gezogen war, und der im übrigen mit seiner eigenen, uninteressanten Kollektion von Manschettenknöpfen, Kragenknöpfen, alten Hosenknöpfen, ein paar Schreibfedern und einer Rolle weißen Zwirns mit einer durchgesteckten Nadel angefüllt war.
Tom bestieg in Neapel einen Zug hinauf nach Rom, Florenz, Bologna und Verona, wo er ausstieg und mit dem Bus nach Trento fuhr, etwa sechzig Kilometer weiter. Er wollte den Wagen nicht in einer so großen Stadt wie Verona kaufen, weil die Polizei über seinen Namen stolpern könnte, wenn er die Zulassung beantragte, überlegte er. In Trento kaufte er einen gebrauchten, cremefarbenen Lancia für den Gegenwert von etwa achthundert Dollar. Er kaufte ihn auf den Namen Thomas Phelps Ripley, so wie sein Paß ihn auswies, und er nahm sich auf den gleichen Namen ein Hotelzimmer, um die vierundzwanzig Stunden hinter sich zu bringen, die er auf seine Zulassungsschilder warten mußte. Sechs Stunden später war noch nichts passiert. Tom hatte befürchtet, daß man sich sogar in diesem kleinen Hotel an seinen Namen erinnerte, daß auch dem Büro, das die Zulassungsanträge bearbeitete, sein Name auffallen könnte, aber am Mittag des folgenden Tages hatte er seine Schilder am Wagen, und nichts war passiert. Es stand auch nichts in der Zeitung über die Suche nach Thomas Ripley, nichts über den Fall Miles, nichts über das Boot von San Remo. Ihm war ein bißchen merkwürdig zumute, er fühlte sich ziemlich sicher und wohl und so, als wenn das alles vielleicht gar nicht wahr wäre. Er begann, sich selbst in seiner traurigen Rolle als Thomas Ripley zufrieden zu fühlen. Es machte ihm richtig Spaß, beinahe übertrieb er die alte Ripleysche Scheu vor Fremden, die Inferiorität in jedem Einziehen des Kopfes und jedem traurigen Seitenblick. Schließlich und endlich, wer, wer wollte behaupten, daß so ein Mensch jemals einen Mord begangen haben könnte? Und der einzige Mord, der ihm überhaupt zur Last gelegt werden konnte, war der Mord an Dickie in San Remo, und wie es aussah, kamen sie in der Sache nicht weit. Das Dasein als Tom Ripley hatte wenigstens ein Gutes: es befreite sein Gewissen von der Schuld des dummen, unnötigen Mordes an Freddie Miles.
Eigentlich wollte er direkt nach Venedig
Weitere Kostenlose Bücher