Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
und an Cleo in New York, einen langen Brief an Cleo, in dem er seine Reisen beschrieb, seinen Zeitvertreib und seine mannigfachen Bekanntschaften, er schrieb mit der packenden Inbrunst eines Marco Polo, der China beschrieb.
Aber er war einsam. Es war nicht das gleiche Gefühl wie in Paris, wo er allein, aber nicht einsam war. Er hatte sich vorgestellt, daß er einen neuen, aufgeschlossenen Freundeskreis um sich scharen würde, daß er mit ihm ein neues Leben beginnen würde, ein Leben mit neuen Gedanken, Maßstäben und Gewohnheiten, ein Leben, das weit besser und sauberer war als das, welches er seit seiner Kindheit geführt hatte. Jetzt wurde ihm klar, daß das unmöglich war. Für immer würde er sich von Menschen fernhalten müssen. Andere Maßstäbe, andere Gewohnheiten konnte er haben - niemals aber den Freundeskreis. Niemals, es sei denn, er ging nach Istanbul oder nach Ceylon, und was nützten ihm Leute von dem Schlag, den er dort antreffen würde? Er war allein, und er spielte ein einsames Spiel. Natürlich, die Freundschaften, die er schlösse, wären die größte Gefahr. Und wenn er sich ganz allein auf der Welt herumtreiben müßte, um so besser: dann bestand um so weniger die Gefahr, daß man ihn entdeckte. Das war jedenfalls der eine, freundlichere Aspekt der Sache, und er fühlte sich gleich wohler, als er das bedacht hatte.
Unmerklich veränderte er sein Benehmen, damit es zu seiner Rolle als abgeklärter Beobachter des Lebens paßte. Er war weiterhin höflich und hatte ein Lächeln für jeden, für Leute, die in Restaurants seine Zeitung ausborgen wollten, für Hotelpersonal, mit dem er sprach, aber er trug seinen Kopf noch höher, und er faßte sich etwas kürzer, wenn er sprach. Es umgab ihn ein Hauch der Traurigkeit jetzt. Ihm gefiel diese Veränderung. Er hatte den Eindruck, daß er jetzt wie ein junger Mann wirkte, der eine unglückliche Liebe oder ein ähnliches seelisches Mißgeschick hinter sich hatte und der nun versuchte, sich auf kultivierte Art davon zu erholen, indem er ein paar der schönsten Winkel der Erde besuchte.
Das erinnerte ihn an Capri. Das Wetter war immer noch miserabel, aber Capri war Italien. Dieser eine Blick, den er mit Dickie damals auf Capri werfen durfte, hatte ihm nur Appetit gemacht. Jesus, war Dickie an dem Tage unausstehlich gewesen! Vielleicht sollte er sich Capri lieber bis zum Sommer verkneifen, dachte er, sollte bis dahin Abstand halten von der Polizei. Aber noch mehr als Griechenland und die Akropolis wünschte er sich einen unbeschwerten Ferientag auf Capri, und zum Teufel mit allem Komfort eine Zeitlang! Er hatte schon gelesen von Capri im Winter - Sturm, Regen und Einsamkeit. Aber dennoch Capri. Da waren der Sprung des Tiberius und die Blaue Grotte, die Plaza ohne Menschen, aber dennoch die Plaza, nicht ein Pflasterstein wäre anders. Er könnte sogar heute noch fahren. Mit schnelleren Schritten strebte er seinem Hotel zu. Auch die Côte d´Azur hatte durch das Fehlen der Touristen nichts eingebüßt. Vielleicht konnte er nach Capri fliegen. Er hatte mal von einer Flugverbindung Neapel-Capri gehört. Wenn das Flugzeug im Februar nicht verkehrte, konnte er es chartern. Was spielte Geld schon für eine Rolle?
»Buon´ giorno! Come sta?« Er begrüßte den Mann am Empfang mit einem Lächeln.
»Ein Brief für Sie, Signor. Urgentissimo«, sagte der Mann und lächelte auch.
Der Brief kam von Dickies Bank in Neapel. Innen im Umschlag steckte noch ein zweiter Umschlag, er kam von Dickies Treuhandgesellschaft in New York. Tom las den Brief der Bank in Neapel zuerst.
10. Februar
»Sehr geehrter Herr,
von der Wendell-Treuhandgesellschaft in New York wurden wir darauf hingewiesen, daß Zweifel daran bestehen, ob Ihre Unterschrift zur Quittierung der Überweisung von $ 500,- vom Januar dieses Jahres tatsächlich Ihre eigene ist. Wir beeilen uns, Ihnen davon Mitteilung zu machen, damit wir die notwendigen Maßnahmen ergreifen können.
Wir hielten es für angezeigt, die Polizei bereits zu verständigen, aber wir erwarten auch von Ihnen noch die Bestätigung der Auffassung unseres Schriftsachverständigen und des Schriftsachverständigen der Wendell-Treuhandgesellschaft in New York. Wir sind Ihnen dankbar für jede Information, die Sie eventuell geben können, und bitten Sie dringend, sich zum frühestmöglichen Termin mit uns in Verbindung zu setzen.
Mit vorzüglicher Hochachtung
und stets zu Ihren Diensten, Emilio di Braganzi
Segretario Generale della Banca di
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