Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns
durchschritt das Zimmer langsam in vertikalen Linien. Mit seinen nackten Füßen auf dem kühlen, gebleichten Fußboden die eine Seite hinauf, die andere Seite wieder hinunter, während er mit den Zehen alle Knoten und Wirbel in dem wunderbaren, weichen Holz streichelte. Auf und ab, während seine Finger über die Falten an seinem Magen strichen.
Auf und ab, während sich sein Atem verlangsamte, die weißen Wände Linderung versprachen …
Mit den Unwägbarkeiten kam er zurecht. Schließlich war er anpassungsfähig. Champagner oder Spritze. Bei ihm zu Hause oder bei ihr. Junggesellinnenabschiedsabend oder Nachtbus. Was nun folgen würde, würde nicht dem entsprechen, was er sich als perfektes Ende vorgestellt hatte, aber es würde den Zweck mit Sicherheit erfüllen. Zu seinem Plan hatte als hübsches Nebenprodukt seiner medizinischen Arbeit natürlich gehört, dass die Mädchen über eine längere Zeit leicht gelitten hatten. Jetzt erschien ihm ein kurzes, aber starkes Leiden auch als reizvoll.
Er griff zum Telefon, um sie noch einmal anzurufen. Sie würde glücklich über seinen Anruf sein. Sie würde entzückt sein über die Einladung. Aufgeregt über den Hinweis, was der Abend für sie noch bringen könnte. Natürlich nicht so aufgeregt wie er, aber schließlich wusste er, wie gut die Sache werden würde.
Es war Zeit, aktiv zu werden.
Zeit, eine andere Möglichkeit zu finden, jemandem Schmerzen zuzufügen.
Anne schaffte es sogar, noch früher vom Queen Square wegzukommen, als sie gedacht hatte, doch als sie gegen vier Uhr bei Thorne aufkreuzte, hatte dieser schon den größten Teil der sechs Stunden damit zugebracht, im Viereck zu laufen.
Er hatte versucht, ins Bett zu gehen, aber es war sinnlos gewesen. Jeder einzelne Muskel schrie nach Schlaf, doch sein Gehirn hörte nicht zu. In ihm steckte eine Kraft, die richtungslos war, eine Energie, die verzweifelt nach einem Ausweg suchte. Auch wenn sich sein Körper so müde wie noch nie anfühlte, rasten seine Gedanken. Sie brausten, rumpelten, schleuderten hin und her und rutschten aus ihrer Bahn, wirbelten herum und brausten in die andere Richtung weiter.
Er könnte Bishop mit dem Ring konfrontieren.
Ihm sagen, dass sie belastendes Beweismaterial gefunden hatten.
Ihm das verdammte Beweisstück unterschieben …
Er könnte ein Geständnis aus ihm herausprügeln. Mein Gott, es wäre ein gutes Gefühl zu spüren, wie Bishops Gesichtsknochen unter seinen Faustschlägen zerbarsten. Er würde nicht eher aufhören, bis Bishop irgendwo zwischen Leben und Tod schwebte und spürte, wie es Alison Willetts erging …
»Tu, was immer du tun musst, Tommy.«
»Helen, es tut mir so Leid … «
»Schon in Ordnung, Tommy. Schnapp ihn dir einfach. Du kannst ihn doch immer noch drankriegen, oder?«
Irgendwie stellte er sich vor, Anne würde kommen und alles wegküssen und wegficken; er würde einschlafen und gereinigt wieder aufwachen.
Fast genauso geschah es auch.
Sie stürmte ins Wohnzimmer wie ein Teenager, und sein erstes Lächeln bereitete seinem Gesicht Schmerzen. Sie sagte, er solle sich hinlegen; dann machte sie ihnen Tee.
Einmal hatte er ihr gesagt, er suche keine Mutter. Jetzt wollte er nicht darüber streiten.
Sie brachte den Tee ins Wohnzimmer. »Du hast dich am Telefon ein bisschen wie ein Wahnsinniger angehört.«
Er stöhnte. Als sie das Kissen wegzog, das er sich übers Gesicht hielt, war sie erleichtert, dass er grinste.
»Wie geht es dir?«
»Als hätte ich Hunderte von Aufputsch- und Beruhigungstabletten genommen.«
Sie reichte ihm den Tee. »Hast du jemals?«
Thorne schüttelte den Kopf. »Alkohol und Kippen. Die ehrlichen Arbeiterklasse-Drogen.«
»Die gefährlichsten überhaupt.«
Er nippte an seinem Tee und starrte an die Decke. »Ich denke, ich brauche sechs Wochen lang eins von diesen hübschen, gemütlichen Zimmern, die ihr auf der Intensivstation habt. Ich werde mich von einer hübschen, geilen Ärztin versorgen lassen, die auf meine Bedürfnisse eingeht. Ist das Zimmer neben dem von Alison frei? Gibt’s dort Kabelanschluss? Ich werde natürlich bezahlen …«
Anne lachte und ließ sich in den Sessel fallen. »Ich sag dir Bescheid, wenn eins frei ist.«
»Wie geht’s ihr? Ich wusste gar nicht, dass sie wieder an der Beatmungsmaschine hängt.« Anne sah ihn fragend an. »Ich habe sie neulich besucht. Du warst in einer Besprechung, glaube ich.«
»Ich weiß. Sie schien hinterher etwas abwesend zu sein.«
Er überhörte ihre
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