Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns
Sicherheit benutzt.
Es blieb bei »Johnny Boy«.
Das vierte Opfer hatte einem Freund erzählt, er treffe sich mit einem Mann namens John auf einen Drink. Dies war etwa eine Stunde, bevor ihm das Herz herausgeschnitten und die Genitalien entfernt wurden. Eine Annäherung an das, wie Johnny Boy aussehen könnte, blickt von den Wänden überall im Land herab. Er hat schmutzig blondes Haar und blaue, sehr, sehr kalte Augen.
Ein großer Fall.
Detective Constable Thomas Thorne lehnt an der Wand des Verhörzimmers in Paddington und blickt den Mann mit den schmutzig blonden Haaren und den blauen Augen an.
Francis John Calvert. Vierunddreißig. Selbstständiger Bauunternehmer aus North London.
»Wie stehen die Chancen auf eine Kippe?« Calvert lächelt. Ein gewinnendes Lächeln. Perfekte Zähne.
Thorne sagt nichts, beobachtet ihn nur, bis Detective Inspector Duffy zurückkommt.
»Mir wird doch wohl eine mickrige Kippe genehmigt werden?« Das Filmstarlächeln wird nur leicht schwächer.
»Halten Sie den Mund.«
Dann öffnet sich die Tür, und Duffy tritt ein. Das Verhör wird fortgesetzt, und Tom Thorne sagt kein Wort mehr.
Das Verhör ist keineswegs aufregend. Duffy ist bei weitem nicht in Hochform. Es ist ohnehin bloß eine Routineangelegenheit. Calvert ist nur wegen des Berufes da, den er ausübt.
Eine Woche vor dem Tod des zweiten Jungen hatte dieser einem Mitbewohner erzählt, er habe einen Mann in einem Club kennen gelernt, der gesagt habe, er sei selbstständiger Bauunternehmer. Der Mitbewohner hatte Witze über bestimmte Werkzeuge gerissen, die ein Bauunternehmer zum Einsatz bringen könnte. Sieben Tage und eine Leiche später war der Witz nicht mehr lustig, doch der Mitbewohner erinnerte sich, was sein toter Freund gesagt hatte.
Tausende und Abertausende von Bauunternehmern werden verhört. Einige werden zu Hause aufgesucht, einige an ihrem Arbeitsplatz. Calvert erhält einen Telefonanruf und kommt auf einen Plausch nach Paddington.
Später wird herauskommen, dass es sich hier nicht um sein erstes Verhör handelt.
Duffy und Calvert kommen prima miteinander zurecht. Duffy reicht Calvert eine Kippe.
Er will nach Hause.
Auch Thorne will nach Hause. Er ist seit knapp einem Jahr verheiratet. Er ist nur mit einem Ohr bei den Antworten, die Calvert abspult.
Zu Hause mit seiner Frau … drei kleine Mädchen sind ganz schön viel … er würde sich gerne abends herumtreiben … natürlich nicht an solchen Orten. Und wieder sein typisches Lächeln. Er ist hilfsbereit, besorgt. Seine Frau wäre sehr gern bereit, mit Ihnen zu reden, wenn Sie möchten. Er hofft, sie finden diesen Wahnsinnigen und knüpfen ihn auf. Es ist egal, was diese Perversen in ihrem Privatleben anstellen, aber was dieser Mörder tut, ist Ekel erregend …
Duffy reicht Calvert eine kurze Stellungnahme zur Unterschrift, und das war’s. Wieder wird einer von der Liste gestrichen. Er dankt ihm.
Einer dieser Tage, der ihnen etwas Glück bescheren wird.
Duffy erhebt sich und geht Richtung Tür. »Würden Sie Mr. Calvert hinausbegleiten, Thorne?« Duffy geht, um sich dem ermüdenden Aufsetzen des Protokolls zu widmen. Die Ermittlungen sind angefüllt mit Papierkram. Aus der Ferne hört man Gerüchte über Computer, die es bald geben soll und die eines Tages angeblich alles vereinfachen. Gerüchte aus der Zukunft.
Thorne hält die Tür auf, sodass Calvert auf den Flur hinaustreten kann. Lässig pfeifend geht er mit den Händen in den Taschen an den anderen Verhörzimmern vorbei. Thorne folgt ihm. In der Ferne, vielleicht aus dem Umkleideraum, ertönt aus einem Radio sein Lieblingslied – »There Must Be An Angel« von den Eurythmics. Jan hat ihm die Platte vorige Woche gekauft. Er fragt sich, was sie am Abend essen könnten. Vielleicht kann er von unterwegs etwas mitbringen.
Durch die erste Schwingtür hindurch und nach links in einen anderen Flur, der um die Ecke zum Haupteingang führt. Calvert wartet, bis Thorne ihn eingeholt hat. Er hält ihm die Tür auf. »Ich nehme an, Sie machen eine Menge Überstunden.«
Thorne antwortet nicht. Er kann es nicht abwarten, dieses großkotzige Arschloch von hinten zu sehen. Am nächsten Johnny-Boy-Poster vorbei. Jemand hat eine Sprechblase hingemalt: »Hallo, Seemann.« Beim Gehen summt Thorne das Eurythmics-Lied mit.
Dann die letzte Tür. Der Polizist an der Pforte nickt Thorne zu. Thorne tritt vor Calvert, drückt die Tür nach außen und bleibt stehen. Das geht zu weit. Das hier ist doch kein
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