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Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns

Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns

Titel: Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Billingham
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Ahnung, wie lange er in diesem kleinen Zimmer zugebracht und versucht hat, die Situation zu verstehen. Und über Jan nachgedacht hat. Das Kind, nach dem sie sich so sehr sehnten.
    Als er die Tür zum Wohnzimmer aufstößt, werden seine Sinne im gleichen Moment niedergeknüppelt. Der Whiskygeruch ist so stark, dass er beinahe würgen muss, und der Gestank von Schießpulver, das er bisher nur auf dem Schießplatz gerochen hat, sticht in der Nase.
    Er findet ihn auf dem Boden vor dem Kamin.
    Das Gehirn klebt am Spiegel über den Kaminfliesen.
    Francis John Calvert, 37. Selbstmord durch Erschießen.
    Wie ein Schlafwandler geht Thorne über den verrußten pilzfarbenen Teppich. Er blickt nicht auf den Boden, kickt eine leere Whiskyflasche gegen die Fußleiste. Er blickt zu Calvert. In der ausgestreckten Hand hält er immer noch die Waffe. Die Unterhosen sind braun vom geronnenen Blut. Wann war es passiert? Gestern Abend oder gleich heute Morgen?
    Die Hände waren von den kleinen Fingern nicht gezeichnet.
    Thorne steht mit schwer hängenden Schultern über der Leiche, verzweifelt atmet er tief ein und aus. Er beugt sich vor, weiß, was passieren wird, überrascht angesichts der Tatsache, dass er nichts gefrühstückt hat. Der Krampf setzt sich von seinem Magen über den Brustkorb bis zu seiner Kehle fort – und er kotzt seinen dampfenden, nassen und bitteren Mageninhalt über das, was von Francis Calverts Gesicht übrig geblieben ist.
     
    »Es war nicht dein Fehler, Tom. Ich weiß, es muss schrecklich gewesen sein, aber du darfst nicht glauben, es sei wegen dir geschehen.«
    Thorne lag auf dem Sofa und starrte auf seine magnolienfarbene Decke. Irgendwo in der Ferne heulte verzweifelt die Sirene eines Feuerwehrautos oder eines Krankenwagens.
    Anne drückte seine Hand. »Du hattest Recht, als du dachtest, du seist verwirrt. Dass du die Kinder gefunden hast, war nur ein Zufall. Ein schrecklicher Zufall …«
    Thorne hatte nichts mehr zu sagen. Die Müdigkeit hatte ihn schon den ganzen Tag gefangen gehalten, und er hatte nicht mehr das Bedürfnis, gegen sie anzukämpfen. Er sehnte sich nach Bewusstlosigkeit, nach einer Schwärze, die dafür sorgen würde, dass alles, an was er sich erinnerte und was er beschrieben hatte, dorthin gebracht wurde, wo es hingehörte. Die rostigen Riegel schnappten wieder zu.
    Er schloss die Augen und ließ es geschehen.
    Anne hatte sich zurückgehalten, während Thorne seine Geschichte erzählt hatte, doch nun ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Sie dachte an die kleinen Mädchen. Sie dachte an die kleinen weißen Füße ihrer eigenen Tochter.
    Es war leicht zu erkennen, was diesen Mann antrieb. Was zu dieser Besessenheit hinsichtlich seines … Wissens geführt hatte. Sie hoffte, er würde schon bald erkennen, dass seine Gefühle Jeremy gegenüber nur Einbildung waren. Verzerrte Echos eines vergangenen Schreckens.
    Sie würde da sein, um ihm zu helfen.
    Ein leichtes Zittern durchfuhr ihren Körper. Der Schatten bewegte sich immer noch über ihr, und die Kälte sammelte sich auf ihrer Schulter. Sie legte den Kopf auf Thornes Brust, die sich schon nach wenigen Augenblicken gleichmäßig hob und senkte. Er war eingeschlafen.

 
    Die Bilder sind immer noch verschwommen, aber die Worte werden klarer. Als ob ich mir einen Film anschaue, den ich schon gesehen habe, doch seit dem letzten Mal spielt meine Sehfähigkeit verrückt, und die Bilder springen wild umher.
    Wir sind in der Küche. Er und ich.
    Ich sage ihm, er soll seine Tasche irgendwo abstellen. Ich trinke immer noch Champagner und frage ihn, ob er eine Tasse Kaffee oder ein Bier möchte. Er sagt nette Sachen über die Wohnung. Ich gebe ihm eine Dose Bier, die Tim übrig gelassen hat. Er öffnet sie, und ich rede immer noch über die Party. Über die Wichser im Club. Kerle, die bekokst sind. Er ist mitfühlend, sagt, er wisse, wie Männer sein können.
    Ich schalte das Radio ein. Ein paar Sekunden lang ertönt Musik, dann Rauschen, als ich versuche, etwas Gutes zu finden. Dann gebe ich es auf.
    Er sagt, er müsse telefonieren, und das tut er, doch ich höre nicht, was er sagt. Er redet leise. Ich quatsche immer noch vor mich hin, aber ich kann kaum verstehen, was ich sage. Nur Gebrabbel. Irgendwas darüber, dass mir schlecht ist, aber ich glaube nicht, dass er wirklich zuhört.
    Ich entschuldige mich dafür, dass ich so neben der Spur bin. Er muss denken, dass ich in einem ziemlich jämmerlichen Zustand bin, wie ich mich so gegen den Schrank

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