Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns
den Essensvorbereitungen beginnen würde. Doch er schien sich über irgendetwas zu ärgern. Sie huschte zur Beifahrerseite hinüber, stellte die Einkaufstüte auf dem Boden ab und stieg ein.
Es war schön warm im Auto. Offenbar war die Heizung seit einer Weile eingeschaltet. Er sah sie nicht an. Sie ahnte, dass etwas nicht stimmte.
»Ist alles in Ordnung? Ist etwas passiert?«
Er antwortete nicht, und instinktiv blickte sie sich um. War die Antwort auf das, was hier vor sich ging, bei ihnen im Auto? Auf dem Rücksitz lag etwas, das mit einer Picknickdecke zugedeckt war.
Sie schaute ihn an. »Was ist …?«
Instinktiv wusste sie, dass sie keine Antwort erhalten würde. Langsam drehte sie sich nach hinten und zog die Decke weg.
Sie keuchte laut auf.
Die Nadel, die sich in ihren Arm bohrte, spürte sie nicht einmal.
Thorne versuchte, sich zu beruhigen. Der Regen hatte wie üblich den Verkehr verlangsamt, und die fünfundzwanzig Minuten, die er gebraucht hatte, um den einen Kilometer vom Queen Square zur Waterloo Bridge zurückzulegen, hatten ihn rasend gemacht. Jetzt ging es etwas zügiger voran, und der Mondeo testete alle Blitzer, an denen Thorne auf dem Weg nach Battersea vorbeikam.
Die Uhr am Armaturenbrett zeigte Viertel vor neun, und aus den Lautsprechern drang die Stimme von Merle Haggard, während Thorne am St. Thomas Hospital vorbeifuhr.
Er dachte über einen Pathologen nach, dessen Fähigkeit, Beobachtungsgabe und Neugier vor einigen Monaten die Lawine ins Rollen gebracht hatten. Vielleicht arbeitete er genau in diesem Moment noch hinter einem der erleuchteten Fenster, hinter diesen hellen weißen Quadraten, die Thorne beim Vorbeifahren sah. Vielleicht wurde er gerade müde, während er den Kopf über das Mikroskop senkte. Oder war er hellwach, nachdem er eine Ungereimtheit entdeckt hatte, ein seltsames Detail, das das Leben Hunderter von Menschen für immer verändern würde?
Er wusste nicht, ob er diesem Mann danken oder ins Gesicht spucken sollte, falls er ihm je gegenüberstehen würde. Sicher war, dass er ohne ihn jetzt nicht auf dem Weg zu einem Mörder sein würde. Er hatte keine Ahnung, was zwischen ihm und Bishop wirklich passieren würde. Sich ihm entgegenstellen, ja, aber was noch? Ihn verhaften? Ihn einschüchtern? Ihn zusammenschlagen?
Thorne würde es wissen, sobald er bei ihm war.
Er trat zu spät und zu hart auf die Bremse, als er sich der großen Ampel an der Vauxhall Bridge näherte. Der Wagen rutschte ein bisschen, bevor er zum Stehen kam. Die quietschenden Reifen zogen die Aufmerksamkeit des abendlichen Ampel-Kabaretts auf sich. Diejenigen, die für ein paar Münzen die Windschutzscheiben putzten, waren bizarrerweise von Straßenunterhaltern ersetzt worden. Einer von ihnen mit einer großen bunten Narrenkappe und drei Bällen, mit denen er jonglierte, kam trotz des Regens mit einem breiten Grinsen auf Thorne zu.
Der Jongleur warf nur einen kurzen Blick auf Thorne und wich schnell wieder zurück. Seine Bälle fielen auf den Boden. Die Ampel, die sich in den Pfützen aus Öl und Wasser spiegelte, wechselte von Rot auf Grün. Thorne drückte aufs Gas.
Die Ampeln entlang der Nine Elms Lane und der Battersea Park Road waren ihm wohlgesinnt. Bei Gelb bog er am Latchmere Pub nach links ab, drückte das Gaspedal bis zum Lavender Hill durch und fuhr ein paar Minuten später in die ruhige Straße, in der Jeremy Bishop wohnte.
Er drehte die Musik leiser und atmete tief ein. An beiden Seiten der Straße standen Autos, an denen Thorne auf der Suche nach einem Parkplatz langsam vorbeifuhr. Der Regen war stärker geworden, und selbst mit den auf doppelte Geschwindigkeit gestellten Scheibenwischern musste er sich vorbeugen und die Augen zusammenkneifen, um etwas sehen zu können.
Fünfzig Meter vor ihm wurden plötzlich Lichter eingeschaltet und blendeten ihn: Ein großer dunkler Wagen fuhr los und beschleunigte. Thornes erster Gedanke war, dass er endlich einen Parkplatz hatte, doch eine Sekunde später sah er, dass er in Schwierigkeiten war. Der Wagen raste auf der falschen Seite auf ihn zu. Thorne riss das Lenkrad nach rechts, um zu vermeiden, dass er von dem Wagen gerammt wurde, der haarscharf an ihm vorbeirauschte.
Ein Wagen, auf dessen Beifahrersitz Anne Coburn saß.
Thorne trat auf die Bremse und beobachtete im Rückspiegel, wie der Wagen am Ende der Straße stehen blieb und nach links abbog. Sie fuhren nach Westen.
Vielleicht lag er ja falsch, aber er glaubte, dass weder
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