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Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns

Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns

Titel: Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Billingham
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glaubte, irgendwo in der Ferne jemanden weinen zu hören. Als er stehen blieb, hörte er nichts mehr.
    Selbst der moderne Teil des Krankenhauses wirkte gespenstisch. Das Licht, das sich gewöhnlich in dem glänzenden Holz im Eingangsbereich der Intensivstation spiegelte, war heruntergedreht worden. Nur ein leises Gespräch und das Summen irgendwelcher Apparate waren zu hören. Es hätten Teppichreiniger sein können. Oder Geräte, die einen Menschen am Leben erhielten.
    Er blickte auf die Münztelefone am Empfang. Er wollte es bei Anne noch einmal versuchen, sobald er mit Alison gesprochen hatte. Er hatte vergessen, sein Mobiltelefon mitzunehmen.
    Als er vom Fahrstuhl aus weiterging, sah er eine Frau hinter der Glasscheibe des Empfangsbereichs. Sie winkte ihm zu – es war Annes Sekretärin. Er erinnerte sich nicht an ihren Namen. Er zeigte auf die Türen, und sie nickte als Zeichen, dass er ruhig weitergehen sollte. Er erinnerte sich an den dreistelligen Code, mit dem die schwere Holztür geöffnet wurde, und betrat die Intensivstation.
    Er sagte im Schwesternzimmer Bescheid, wen er besuchen wollte, und ging den Flur entlang zu Alisons Zimmer. Als er an den anderen Zimmern vorbeikam, wurde ihm klar, dass er nichts über die Menschen hinter diesen Türen wusste. Er hatte mit Anne nie über andere Patienten gesprochen. Er nahm an, dass keiner von ihnen das Gleiche zu erleiden hatte wie Alison, aber dass jeder von ihnen hatte mit ansehen müssen, wie sich das Leben in wenigen Augenblicken ändern konnte. Die Zeit, die man braucht, um eine Treppenstufe zu verfehlen, ein Gerät falsch zu bedienen oder die Kontrolle über ein Auto zu verlieren.
    Die Zeit, die man braucht, um einen Kurzschluss im Gehirn zu verursachen.
    Er lauschte an der Tür gegenüber von Alisons Zimmer. Das gleiche verräterische Summen von Geräten – wie das schwache Pochen eines schlafenden Bienenstocks, der nach dem Winter langsam wieder zum Leben erwacht. Wer auch immer in diesem Zimmer lag, war auf Grund eines Missgeschicks, eines Unfalls hier. Das war der Unterschied.
    Thorne drehte sich um und ging auf Alisons Zimmer zu.
    Er klopfte leise und griff nach der Klinke. Er schnappte nach Luft, als die Tür von innen aufgerissen wurde und David Higgins ihn nach hinten in den Flur schob.
    »Sie ist nicht hier.« Higgins saß ihm förmlich im Gesicht.
    »Was?« Thorne versuchte, sich an ihm vorbei ins Zimmer zu drücken.
    »Sie haben Pech, Thorne. Tut mir Leid.«
    Thorne blickte ihn verständnislos an. »Meine verdammte Frau. Meine verdammte Frau, mit der Sie es treiben. Sie – ist – nicht – hier.«
    Thorne roch, dass sich Higgins Mut angetrunken hatte.
    »Ich wollte gar nicht Anne besuchen. Gehen Sie mir aus dem Weg.«
    »Natürlich. Viel Spaß.«
    Higgins trat einen Schritt nach links, doch Thorne bewegte sich nicht von der Stelle, sondern sah Higgins nur an. »Was meinen Sie damit?« Er wusste genau, was Higgins meinte, doch er wollte es von ihm direkt hören.
    »Nun, da unsere liebenswerte Anne nicht da ist, die sowieso nicht sehr viel Spaß daran hat, können Sie genauso gut … mit jemandem ins Heu steigen, der diesbezüglich nicht viel zu sagen hat. Wie eine aufblasbare Gummipuppe mit einem Puls.«
    Thorne hatte immer gedacht, dass die Anschuldigung, er habe ein »Verhältnis« mit Alison, für den Mörder zu billig war. Unter dessen Niveau. Nun wusste er, wer dafür verantwortlich war. »Warum?«, fragte Thorne, obwohl ihm der Grund klar war.
    Higgins schluckte und leckte sich die Lippen. »Warum nicht?«
    Während er mit dem rechten Arm ausholte und mit Schwung zuschlagen wollte, öffnete Thorne die Faust. Eine Ohrfeige schien angemessener zu sein. Higgins war nicht Manns genug für eine Faust.
    Der harte Schlag mit der flachen Hand traf Higgins am Kiefer und am Ohr. Abrupt landete er auf dem glänzenden Linoleum, wo er, wie ein Kind wimmernd, liegen blieb.
    Ohne Higgins anzusehen, stieg Thorne über ihn hinweg und öffnete die Tür zu Alison Willetts Zimmer.
     
    Im gleichen Moment, in dem er sie anblickte, begann sie zu blinzeln. Einmal, zweimal, dreimal. Sie hatte den Lärm von draußen gehört und war verwirrt. Vielleicht sollte er nach einer Schwester rufen. Was hatte Higgins übrigens in diesem Zimmer verloren gehabt? Vermutlich hatte er nur nach Anne gesucht, aber hätte er nicht einfach am Empfang nach ihr fragen können?
    Thornes Gedanken überschlugen sich. Er musste sich beruhigen, wenn er in der Lage sein wollte, das zu

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