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Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns

Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns

Titel: Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Billingham
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verdiente. Er würde Holland fragen.
    Ach Quatsch. Er würde Alison fragen. Wenn er Zeit hatte.
    Er musste pinkeln und ging rasch in Alisons Badezimmer. Eine niedrige Metallpfanne, ein Waschbecken, ein Spritzeneimer. In allen Höhen und Winkeln waren Griffe an die fadgelbe Wand geschraubt. Er drückte die Toilettenspülung und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht.
    Dann setzte er sich auf den Stuhl gleich neben dem Bett und blickte Alison an. Ihre Augen waren weit geöffnet, das rechte flatterte. Eine winzige, aber offenbar konstante Bewegung. Es war unglaublich schwer, mit ihr Augenkontakt zu halten. In diesem unerschütterlichen Blick lag etwas Herausforderndes. Wie lange hielt man sonst Augenkontakt mit einem Menschen? Ein paar Sekunden? Alison würde ihm so lange tief in die Augen schauen, wie er es aushielt. Schnell musste er sich eingestehen, dass dies nicht sehr lange war.
    Er ergriff ihre Hand und drückte sie fest gegen das Leintuch. Sie in die Höhe zu heben würde irgendwie heißen, dass er … seinen Vorteil ausnutzte.
    »Hallo, Alison. Ich bin’s, Inspector Detective Thorne.« Er wurde rot, als er daran dachte, dass sie ihn schon eine Minute anblickte. Er begann zu schwitzen und zog den Stuhl ein Stück näher ans Bett und drückte ihre Hand. »Sie müssen so dumme Leute wie mich satt haben, oder?«
    Alison blinzelte. Vielleicht war es normal, dass sich das Augenlid so langsam nach unten bewegte, aber auf Thorne wirkte es, als läge so etwas wie Belustigung in ihrer Antwort. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, ein Zittern in ihren Fingern zu spüren, und suchte in ihren Augen nach einer Bestätigung. Er fand keine. Wie viele ihrer Freunde hatten schon hier gesessen und genau das Gleiche gefühlt? Wie viele hatten nach einer Krankenschwester gerufen und waren dann mit einem merkwürdigen Gefühl nach Hause gegangen?
    Schließlich begann er, sich zu entspannen. Das leise Brummen der Geräte war besänftigend, ja geradezu einschläfernd. Es war ähnlich wie Besoffensein. Er riss sich zusammen, da er wusste, dass Anne jederzeit mit dem Kaffee aufkreuzen konnte, und es gab eine Frage, die er dann nicht mehr würde stellen können.
    Die kleine, warme Hand loszulassen war schwierig, aber er musste die Aktentasche öffnen. Aus dem gestärkten Umschlag zog er das große Schwarzweißfoto heraus und hielt es nach unten. Er suchte nach einer Möglichkeit, wie er ihr die Frage am besten stellen könnte.
    Natürlich würde sie Bishop wiedererkennen. Schließlich war er am Tag zuvor mit Anne hier gewesen. Eigentlich wollte er gar nicht, dass Alison ihn identifizierte. Er hoffte nur, dass er etwas Neues, eine Andeutung von etwas Neuem erhalten würde.
    Er wusste, dass nichts, was in diesem Raum geschah, jemals als Beweis dienen könnte. Instinktiv wusste er auch, dass er Alison nicht direkt fragen konnte, ob das Gesicht, das sie gleich sehen würde, zu dem Mann gehörte, der sie hierher gebracht hatte. Gott allein wusste, wie zerbrechlich ihre Gefühle waren. Höchstwahrscheinlich war sie verwirrt und orientierungslos, auch in diesem Moment. Er musste die Sache langsam angehen.
    So sehr er sich Fortschritte wünschte, er wollte Alison nicht verletzen.
    »Alison, ich werde Ihnen jetzt ein Bild zeigen.« Er hielt das Foto hoch und schwieg einen Moment. Nur das unbarmherzige Summen war zu hören. »Sie haben diesen Mann schon einmal gesehen, oder?«
    Seine Augen blickten starr in die ihren.
    Sie blinzelte.
    Sein Telefon klingelte.
     
    Anne wollte nicht, dass der Kaffee kalt wurde, und hatte versucht, das Gespräch mit dem Krankenhausverwalter so kurz wie möglich zu halten. Er hatte sie an der Kasse erwischt, und selbst die wenigen Fragmente seines Monologs, die bis zu ihr durchgedrungen waren, hatten sie augenblicklich gelangweilt. Er war ein krankhaft langweiliger Typ, der durch seinen bloßen Besuch einen Komapatienten um Jahre in der Entwicklung zurückwerfen konnte. Sie hatte gelächelt und genickt. Gott allein wusste, wozu sie gerade ihre Zustimmung gegeben hatte.
    Als sie nun zu Alisons Zimmer ging, fragte sie sich, ob Thorne das Gleiche fühlte wie sie – als ob dies eine bizarre Verabredung war, bei der sie mit Alison als Anstandsdame eine Tasse Kaffee tranken.
    Es passte zu ihm, dass er im Internet wegen Alison recherchiert hatte. Sie würde selbst einiges nachsehen müssen. Natürlich war sie bereits gut informiert über die technischen Fortschritte, die das Leben der dauerhaft Behinderten

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