Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns
zu der Katze hinunter, die auf seiner Brust saß.
»Verpiss dich, Elvis!«
Die Katze sprang hinunter und schlich ins Schlafzimmer. Maggie war ein großer Elvis-Fan gewesen und hatte die Katze nach ihm benannt, bevor ihr Geschlecht bestimmt worden war. Sie hatte das nie gestört, im Gegenteil. Sally Byrne hatte zwei der Katzen ihrer Mutter mit nach Edinburgh genommen, der Rest war ins Tierheim gewandert, doch Elvis hatte zu Thorne gehört, seit er die Tür zu Maggies Schlafzimmer geöffnet und den Geruch des Blutes eingesogen hatte. Die Katze scheine sich zu Thorne hingezogen zu fühlen, hatte Sally gesagt. Fast so, als brauche sie ihn.
Fast so, wie er sie brauchte.
Knapp über zwei Wochen war es her, seit er die Schlafzimmertür geöffnet hatte, knapp über vierundzwanzig Stunden seit Margaret Byrnes Beerdigung. Über die Vorkehrungen für Leonie Holden wusste Thorne nicht Bescheid. Er gehörte, wie er Nick Tughan hatte sagen hören, »nicht mehr zum Kreis«. Vielleicht war Leonie schon beerdigt. Man hatte sie ein paar Stunden von Maggie Byrne gefunden, und wenn Phil Hendricks das vor ihr bekommen hatte, was er brauchte, und in beschriftete Gefäße gepackt hatte, würde die Leiche freigegeben worden sein für diejenigen, denen sie in ihrem Herzen und in ihrem tiefsten Innern etwas bedeutet hatte. Dann würden sie sich von ihr verabschieden können.
Ihre Beerdigung würde natürlich unter offizieller Beteiligung stattfinden. Oft wurden nur ein paar Blumen geschickt, aber Thorne konnte sich vorstellen, dass Tughan hinten in der Kirche saß, schwarz gekleidet wie ein Meuchelmörder. Würde auch Frank Keable dort sein? Oder ein ranghöherer Beamter? Wenn die Anzahl der Leichen stieg, würden sie den Polizeichef hinschicken müssen. Ein dünnes Lächeln und ein Strauß weißer Lilien, die sagten: »Tut mir Leid, wir tun unser Bestes.«
Thorne hatte es sich nie zur Angewohnheit gemacht, zu den Beerdigungen der Opfer zu gehen. Er würde nur dann hingehen, wenn die Chance bestand, dass der Mörder auftauchte. Dann würde er im Hintergrund stehen, die Trauergäste beobachten, nach jemandem suchen, der nicht dazugehörte. In diesem Fall würde der Mörder allerdings nicht zur Beerdigung gehen. Die Toten wollte er vergessen. Sie waren ein Missgriff.
Plötzlich traf es Thorne wie ein Faustschlag – er hatte keine Ahnung, wann Helen Doyle beerdigt worden war. Beerdigt, nicht verbrannt, um eine zweite Autopsie zu ermöglichen, sollte sie nötig sein oder vom Angeklagten gefordert werden.
Obwohl sie tot war, hatte sie kein Anrecht auf ihren eigenen Körper.
Thorne setzte sich auf und rieb sich seine brennenden Augen. Er hatte Hunger. Und Kopfschmerzen kündigten sich an …
Es war Zeit, mit dem Versteckspiel aufzuhören.
Thorne war nur kurz aufgetaucht, um Margaret Byrne die Ehre zu erweisen, die ihr zu Lebzeiten sicher nicht zuteil geworden wäre. Er hatte die Tochter einer Frau umarmt, die er nur als Tote kennen gelernt hatte. Er hatte sie an sich gedrückt, als sie geweint hatte. Er hatte gelacht, als sie von den Katzen erzählt hatte, und gewunken, als sie in den Leichenwagen gestiegen war.
Er hatte quer durch die volle Kirche zu Holland geblickt, der stocksteif und mit versteinertem Gesicht da gesessen hatte. Sie hatten einander zugenickt und schnell wieder weggeschaut. Es war wohl bei den vielen noch kursierenden Anschuldigungen das Beste, ein bisschen Abstand zu halten. So viel Schuld, die großzügig geteilt wurde.
Thorne hatte versucht, die Sache zu erklären, dabei aber keine gute Arbeit geleistet. Sie wussten, dass es Holland gewesen war, der ihm von Margaret Byrne erzählt und ihre Adresse weitergegeben hatte. Sie konnten es zwar nicht beweisen, aber sie wussten es. Das änderte nichts. Es erklärte nicht, wie der Mörder es herausgefunden hatte. Oder woher der Mörder wusste, dass sich Thorne einem positiven Ergebnis näherte. Oder wie es dem Mörder möglich gewesen war, der Bedrohung ein Ende zu setzen, bevor er sich seelenruhig an die Aufgabe gemacht hatte, Leonie Holden abzuschlachten.
Nichts ließ sich einfach erklären, aber jedem war klar, dass Thorne in der Nähe von Margaret Byrne rein gar nichts zu suchen gehabt hatte. Er wirkte unglaubwürdig.
Er fühlte sich verantwortlich.
Margaret Byrne starb wegen dem, was sie wusste und was sie ihm hätte erzählen können. Das war offensichtlich. Sie starb, weil Thorne wusste, wer der Mörder war, weil sie ihn hätte identifizieren können und weil es
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