Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns
und falschem Optimismus. Der ausbleibende Fortschritt in diesem »entsetzlichen« Fall war zur nationalen Angelegenheit geworden. Die Polizei dumm aussehen zu lassen war nie seine Absicht gewesen, allerdings amüsierte er sich köstlich über deren hohl klingende Versprechen in Zeitungen und auf Pressekonferenzen.
Champagner-Charlie. Einfallslos, aber nicht aus der Luft gegriffen. Und ironisch in Anbetracht der Tatsache, dass er keinen Champagner mehr verwenden würde. Bei Leonie hatte die Sache mit dem Zupacken und Reinstechen hervorragend geklappt. Geholfen hatte natürlich auch das Messer an ihrer Kehle, damit sie während der Wartezeit ruhig blieb. Die Sache war sehr schnell vorbei gewesen. Der Champagner hatte ihm immer etwa eine Dreiviertelstunde Smalltalk ermöglicht. Diesmal hatte das gefehlt, aber es hatte das, was später kam, interessanter gemacht. Mit der Spritze ging es wirklich rasend schnell! Das Adrenalin hatte das Midazolam so rasch durch den Körper der jungen Frau gejagt, dass sie schon wenige Minuten, nachdem sie aus dem Bus gestiegen war, in seinem Auto auf dem Weg zu ihm nach Hause gesessen hatte. Er hatte nicht einmal richtig ihre Stimme gehört.
Sie hatte nur ein Wort gesagt, oder vielmehr geflüstert. Bitte …
Und dann hatte er wieder versagt. Die Ablenkung durch den Mord an Margaret Byrne nur wenige Stunden zuvor war eine bequeme Entschuldigung, doch mittlerweile wurde ihm klar, dass die Chancen schlecht standen. Er hatte sich entschlossen, ein entsetzlich schwieriges Verfahren durchzuführen. Das hatte er akzeptiert. Die Erfolgsquote würde gering sein. Das hatte er schon die ganze Zeit über gewusst. Dennoch machte ihn sein Versagen wütend.
Doch der Lohn, wenn die Sache perfekt gelaufen war, machte alles wieder wett.
Es hatte ihm großen Spaß gemacht, Margaret Byrne umzubringen. Das Schamgefühl hatte ihm einen Schlag versetzt, als er es vor sich selbst zugeben musste, aber es machte keinen Sinn, sich etwas vorzulügen.
Er hatte sich vorgestellt, er wäre sie, er würde spüren, wie die kalte Klinge über die Haut surrte, und er hatte den Atem für den Bruchteil einer Sekunde angehalten – zwischen dem Ende der Melodie des Messers und dem Moment, in dem das Blut zu fließen begann.
Es war ein Gefühl, das er einmal gekannt und geliebt, aber schon fast vergessen hatte.
Das Töten hatte nichts von einer unterschwelligen Schönheit, nichts von der Anmut seiner normalen Arbeit. Es waren zwar gewisse Fähigkeiten gefragt, doch eine blasse, starr werdende Leiche war nicht zu vergleichen mit dem, was er bei Alison erreicht hatte. Das war etwas wahrhaft Erhabenes. Etwas Einzigartiges.
Seine Erfolgsquote ließ sich damit jedoch nicht vergleichen.
Seine Arbeit war bahnbrechend, dessen war er sich gewiss, doch er hatte nur einmal Erfolg gehabt, und nun machten sich Zweifel in ihm breit und hockten in seinen Gedanken wie aufgedunsene schwarze Spinnen. Könnte nicht das schnelle Töten die nächste gute Sache sein? Es würde nicht die helle, atmende, schmerzlose Zukunft geben, die er Alison verschafft hatte, aber es war ein … Ende.
Er versuchte, diesen Gedanken zu verscheuchen. Er konnte sich nicht vorstellen, wie er mit einem Skalpell in der Tasche durch die Straßen marschierte. Das war nicht er.
Er nahm seine Zeitung mit zur Kasse und suchte nach Kleingeld. Eine Frau stand neben ihm. Ein Hochglanzmagazin, ein Lotto-Schein und eine Hand voll Schokolade. Sie lächelte ihn an, und er erinnerte sich daran, wie wichtig seine Arbeit immer noch war. Ja, sie umzubringen würde einfach sein, und sie wäre besser dran, keine Frage. Aber die erstrebenswerten Dinge bekam man nie auf einfachem Wege.
Tod war etwas Mittelalterliches. Er konnte den Menschen eine Zukunft bieten.
Während der kurzen Taxifahrt von der Temple Meads Station zum Krankenhaus hatten Thorne und Holland an ihrem Plan gearbeitet, wie sie die Sache mit Dr. Rebecca Bishop angehen wollten. Kurz zusammengefasst: Sie hatten keinen. Holland hatte vorher angerufen und sichergestellt, dass sie heute arbeitete, aber das war’s auch schon.
Ein Jahr zuvor hatte das Bristol Royal Infirmary im Mittelpunkt einer vernichtenden öffentlichen Ermittlung gestanden, nachdem eine alarmierende Anzahl von Babys und Kleinkindern während einer Herzoperation gestorben war. Der nachfolgende Skandal hatte einen langen, dunklen Schatten insbesondere auf dieses Krankenhaus, aber auch auf den Berufsstand der Mediziner im Allgemeinen geworfen,
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