Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
Plötzlich wurde viel mehr gelacht in den Büros, und die, die nicht lachten, kurierten nur ihren Kater aus, weil sie zu viel gefeiert hatten. Er war sich darüber im Klaren, dass, sollte sein Plan überhaupt eine Chance haben, die Feiern aufhören müssten. Der Deckel würde hart runtersausen und fest drauf bleiben müssen.
Mit einem Mal erkannte Thorne, wie unaussprechlich dumm er war. So dumm zu glauben, diejenigen, die das Sagen hatten, würden Palmer freilassen, und so dumm, dieses Ansinnen an sie heranzutragen. Erleichterung stellte sich ein bei der Vorstellung, wie sie seinen Vorschlag höflich, aber bestimmt ablehnten.
Ihm war klar, sein Plan wäre auf dieselbe Begeisterung gestoßen wie eine Tasse kalte Kotze. Aus allen möglichen Gründen. Nicht zuletzt wegen der Jahreszeit. Die Frage beschäftigte ihn, ob er seinen Kollegen nicht eine Gelegenheit schuldete, etwas kürzer zu treten, sich zu entspannen und mehr Zeit mit ihren Familien zu verbringen.
Er brauchte nicht mehr als ein oder zwei Sekunden, und die anderen fielen ihm ein, die Toten und die Lebenden, denen er weit mehr schuldete.
Die, die Grimassen schneiden würden, falls Thorne sich mit seinem Vorschlag durchsetzte, die sich hinter seinem Rücken das Maul über ihn zerreißen und ihn nach der Arbeit im Pub links liegen lassen würden, hatten Carol Garners Mutter und Vater nicht kennen gelernt. Und nicht ihren Sohn. Vielleicht sollte er das, was von dieser Familie übrig geblieben war, nach London einladen, Charlie in der Wache herumführen und jeden einzelnen Beamten und Zivilangestellten gottverdammte fünfzehn Minuten mit ihnen zusammensperren.
Ob Carol wohl Weihnachtsgeschenke für Charlie gekauft hatte, bevor es passierte? Würden ihre Mum und ihr Dad sie dem Jungen geben und ihm sagen, von wem sie stammten …?
Thorne hörte eine Tür aufgehen und blickte auf, um Brigstocke aus dem Zimmer nebenan kommen und den Raum nach ihm absuchen zu sehen.
»Russell …«
Brigstocke wandte sich zu ihm um. Als sich ihre Augen trafen, war Thorne klar, dass seine Bemerkungen von vorhin, die er so gemeint hatte, aber nun bedauerte, weder vergessen noch verziehen waren. Sie mussten wohl miteinander reden.
Schlagartig wünschte es sich Thorne mehr als alles andere auf der Welt. Wünschte sich das Okay. In diesen letzten paar Sekunden, während er auf Brigstockes Zeichen wartete, wollte er die Chance haben, Stuart Nicklin das Handwerk zu legen, ihn loszuwerden, und zum Teufel mit der Karriere und damit, Leute vor den Kopf zu stoßen und die Korken knallen zu lassen wegen eines halben Erfolgs. Nicht einmal eines halben Erfolgs …
Brigstocke schloss die Augen und nickte. In Ordnung.
Thorne signalisierte mit den Augen, dass er verstanden hatte, und sagte dann mit ruhiger, aber lauter Stimme:
»Ach du Scheiße.«
Elftes Kapitel
Der Mann, der einmal Stuart Nicklin geheißen hatte, war kein großer Fan von Weihnachtseinkäufen, aber diese Dinge mussten erledigt werden. Er war mittags hinausgeschlüpft und durchaus zufrieden mit dem bislang Erreichten. Das nächste Wochenende, das letzte vor dem großen Ereignis, würde er nicht aushalten, dieses Zombiegewühl. Alle taten so, als wären sie glücklich, die Kohle rüberzurücken für wegwerfbare Scheiße und glänzendes Papier. Seine Frau würde sich natürlich in das Getümmel stürzen, aber sie musste auch mehr kaufen. Für ihre Eltern und Freunde und Arbeitskollegen. Seine Kollegen machten sich nicht wirklich was draus. Weihnachten war eine Zeit, in der man eine Weile nicht an die Arbeit zu denken brauchte …
Er trug seinen Kaffee zu einem Tisch am Fenster und stellte seine Tüten neben dem Stuhl ab. Die Halskette würde ihr gefallen, da war er sich sicher, und das Parfümzeugs auch. Zugegeben, der Pullover war etwas riskant, aber er hatte die Rechnung, sie konnte ihn jederzeit umtauschen. Normalerweise fanden sie sich jeden Siebenundzwanzigsten oder Achtundzwanzigsten in der Schlange vor der Umtauschkasse bei Marks & Spencer wieder, mit all den anderen, die insgeheim vor Wut und Entsetzen darüber kochten, was aus ihnen geworden war.
Auf diese Tageszeit freute er sich immer ungemein. Normalerweise würde er sich jetzt in sein Zimmer zurückziehen, eine halbe Stunde in Ruhe die Zeitung studieren. Eine Gelegenheit, sich jede Geschichte vorzunehmen, jede neue Version, jedes Update und jede neue Meldung. Natürlich sah er auch fern. In den Tagen nach einem seiner Abenteuer war er süchtig nach dem
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