Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
Klotz‹ – Was soll die Scheiße?«
Die zweiten fünfundvierzig Minuten machten, sofern das möglich war, noch weniger Spaß als die ersten. Was zusammen mit dem Bier und der Zentralheizung und der allgemeinen Müdigkeit, der sich keiner der an der Ermittlung Beteiligten entziehen konnte, dafür sorgte, dass die beiden schliefen, als kurz nach elf das Telefon läutete.
Es war Martin Palmer.
»Es gibt neue Anweisungen. Er will wieder loslegen.«
Es war, als hätte man Thorne mit einem Stromschlag geweckt. »Wann?«
»Morgen.«
»Scheiße.« Er warf Hendricks einen Blick zu, der bereits unterwegs in die Küche war und mit den Lippen das Wort »Kaffee« formte. Thorne nickte.
»Er wird es morgen wieder tun.« Palmer klang, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. »Können Sie ihn nicht daran hindern?«
»Halten Sie einfach die Klappe, Palmer, okay? Schei ße …«
Es klopfte in der Leitung. Das waren wahrscheinlich die IT-Jungs, die ihn zu erreichen versuchten. Sie überwachten Palmers Computer und mussten die E-Mail zur selben Zeit wie er gesehen haben.
»Palmer …«
Das Klopfen in der Leitung hörte auf, und im selben Augenblick begann das Festnetztelefon zu läuten. Hendricks kam aus der Küche und hob ab.
Thorne hätte auflegen und mit den Technikern reden können, aber er wollte es jetzt, in dieser Sekunde, aus dem Mund des Mannes hören, an den die E-Mail geschickt worden war. »Palmer, gibt es sonst noch etwas? Was ge nau steht in der Mail drin?«
Palmer unterdrückte den Impuls zu weinen gerade lange genug, um es ihm zu erzählen.
Fünfzehntes Kapitel
Datum: 10. Januar
Zielobjekt: männl. (bloß nicht vorhersehbar sein)
Alter: Du bist so alt, wie du dich fühlst
Kontaktaufnahme: nebensächlich
Tatort: in der Wohnung/dem Haus des Zielobjekts
Methode: stumpfe Waffe … in Verbindung mit einem scharfen Verstand
Früher war er jeden Morgen derselben Routine gefolgt. War von Zimmer zu Zimmer gegangen und hatte sich äußerst sorgfältig auf den Tag vorbereitet. Heutzutage war ihm das zu anstrengend. Während früher bereits das saubere weiße Hemd auf der Kommode gelegen hätte, zog er heute ein ungebügeltes Hemd aus dem Haufen, und nicht selten wendete er die Socken von gestern einfach von innen nach außen. Er stellte den Kessel auf den Herd und schaltete das Radio ein, schnitt sich beim Rasieren und zog seinen verknitterten Pulli von dem massiven, freistehenden Eichenspiegel, den sie vor vielen Jahren zur Hochzeit geschenkt bekommen hatten. Er stellte die ausgebeulte Aktentasche neben der Haustür ab, machte sich einen Toast und setzte sich, um sich zehn Minuten die Nachrichtensendung auf Radio 4 anzuhören.
Seltsam, dass es klopfte. Andererseits war es nichts, weswegen einem der Schrecken in die Glieder zu fahren brauchte. Er sah auf die Uhr. Für die Post war es zu früh. Vielleicht ein Nachbar oder jemand, der kam, um den einen oder anderen Zähler abzulesen. Er legte seinen Toast weg, erhob sich langsam vom Küchenstuhl und ging an die Tür.
Seine Frau hatte sich immer lustig gemacht über die Leidenschaft, mit der er seiner Routine gefolgt war und wie jede Störung dieser festen Ordnung ihn in Rage versetzen konnte. Damals war das wohl so gewesen, aber das hatte sich schon seit langem geändert. Heutzutage konnte jede Überraschung ein unverhoffter Ansporn sein. Der manchmal mit offenen Armen willkommen geheißen wurde.
Es klopfte ein zweites Mal, diesmal etwas lauter, bevor er die Tür erreichte.
»Einen Augenblick …«
Als die Tür aufging, lächelte der Mann, der eine Ledersporttasche neben seinen Füßen abgestellt hatte, räusperte sich und versetzte dem Mann in dem verknitterten weißen Hemd einen Schlag ins Gesicht.
Dann hob er seine Tasche auf und trat ein.
Der Mann auf dem Boden fasste sich mit der Hand an die gebrochene Nase, aber das Blut rann durch seine Finger auf das Hemd und auf den Teppich. Es fühlte sich seltsam und warm an. Eigenartig weich auf seinen frisch rasierten Wangen. Er weinte, sehr zu seinem Ärger, und bemühte sich verzweifelt um einen einigermaßen klaren Kopf, um irgendwie an seine Brille zu gelangen und herauszufinden, woher dieser Lärm kam. Ein Trommeln, ein Pochen, als rase ein Zug unter dem Boden hindurch. Es übertönte das Geräusch, als der Reißverschluss der Sporttasche aufgezogen wurde.
Sssssip …
Ein leichtes Rascheln, als würde etwas aus der Tasche herausgeholt, und da wurde dem Mann auf dem Boden blitzartig klar,
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