Tom Thorne 03 - Die Blumen des Todes
auf, der Vater eines Schülers, und hämmert an die Tür. Erklärt, sein Sohn sei da in etwas verwickelt, und erwähnte dabei Rogers Namen. Absoluter Quatsch natürlich, der Kerl war auf irgendwas drauf, aber Roger war ganz aus dem Häuschen. Dieser Irre ließ es nicht dabei bewenden und ging zum Direktor. Die Schule wollte es nicht an die große Glocke hängen, was ja auch richtig war. Lag ja auf der Hand, wie albern das alles war. Doch Roger war es wichtig, das Richtige zu tun. Am Ende kündigte er ohne großes Tamtam, um es für die Kinder einfacher zu machen. Das war typisch für ihn. Das Ganze war ein Skandal, eine Schande, dass überhaupt jemand auch nur auf die Idee kommen konnte … Es waren immer Kinder hier nach der Schule und in den Ferien. Immer Kinder im Haus …«
»Roger mochte Kinder …«
Sie blickte auf, einen sanften Ausdruck in den Augen, dankbar für Thornes Verständnis. »Das ist richtig. Er hätte es nie zugegeben, aber tief drin, denke ich, versuchte er stets, über den Verlust von Mark und Sarah hinwegzukommen. Mit anderen Kindern beisammen zu sein war seine Art, damit umzugehen. Später, nach diesem unerfreulichen Vorfall, wurde ihm alles zu viel. Am Ende schaffte es sein Herz einfach nicht mehr …«
»Wie sind Sie damit umgegangen, Irene?«, fragte Thorne.
»Ich betete nur, dass den Kindern nichts zustößt«, sagte sie. »Dass Mark und Sarah, wo immer sie hingingen, nachdem sie uns verließen, kein Leid geschehe … »
Dieser Satz ging Thorne nicht aus dem Kopf, als sie sich durch den dichten Verkehr im West End kämpften, Zentimeter für Zentimeter um Marble Arch krochen.
»Das war sehr praktisch für Roger Noble«, sagte Holland. »Dass die Kinder genau während eines Schulwechsels ausrissen. Sie verschwanden einfach aus sämtlichen Schulunterlagen …«
»Das kam sicher gelegen«, meinte Thorne.
»Sie rissen doch aus? Ich denke nur laut … »
Thorne schüttelte den Kopf. »Es war Nobles Schuld, dass sie ausrissen. Deshalb hat er es nie gemeldet. Aber ich glaube nicht, dass was Schlimmeres dahinter steckt. Wenn er sie umgebracht hätte, nach wem suchen wir dann?«
»Was tun wir jetzt?«, fragte Holland. »Sollen wir es melden? Der Scheißkerl könnte noch jede Menge anderer Kinder missbraucht haben.«
»Zwecklos. Er ist lange tot. Jetzt kann er keinem Kind mehr was zuleide tun.«
»Was ist mit ihr ? Glauben Sie, sie wusste Bescheid?«
Thorne dachte darüber nach, was Irene Noble gesagt hatte. Darüber, dass sie darum betete, den Kindern möge kein Leid geschehen. Er schüttelte den Kopf. Wenn sie es gewusst hätte, hätte sie das nicht sagen müssen, sondern es einfach dabei bewenden lassen können.
Im Grafton Arms, ein paar Meter von seiner Wohnung entfernt, genehmigte sich Thorne ein paar Pints und eine Hand voll Spiele am Pooltisch mit Phil Hendricks. Das Bier schien ein wenig Wirkung zu zeigen, und er verlor fünf von sechs Spielen.
»Macht nicht so viel Spaß wie sonst, dich zu deklassieren«, sagte Hendricks. »Du bist zu sehr mit dem ganzen anderen Scheiß beschäftigt.« Thorne, der an der Bar lehnte, sagte nichts dazu. Er beobachtete, wie Hendricks die letzten gestreiften Kugeln versenkte, bevor er problemlos die schwarze hinterherschickte. »Wie wär’s, wenn wir um Geld spielen? Vielleicht fördert das deine Konzentration …«
»Lassen wir es«, sagte Thorne. »Ich trink das Glas hier aus, und dann geh ich nach Hause …«
Hendricks nahm sein Guinness, das er auf dem Zigarettenautomaten abgestellt hatte, und ging hinüber an den Tresen zu Thorne. »Ich versteh es noch immer nicht«, sagte er. »Wie konnten sie nichts davon wissen? Keinen blassen Schimmer davon haben …?«
Kopfschüttelnd setzte Thorne das Glas an die Lippen. Unter anderem hatten sie über Irene Noble und Sheila Franklin gesprochen. Über zwei Frauen, die mehr oder weniger gleich alt und mit Männern verheiratet gewesen waren, die sie geliebt hatten und an die sie sich nun, da sie Witwen waren, zärtlich und liebevoll erinnerten. Zwei Männer, die in der Erinnerung fortlebten, hoch geschätzt und geliebt …
Der eine ein Vergewaltiger und der andere ein Kinderschänder.
Thorne schluckte. »Kann auch das Alter sein. Weißt schon, eine andere Generation.«
»Quatsch«, sagte Hendricks. »Was ist dann mit meiner Mum und meinem Dad?« Thorne hatte die beiden einmal getroffen. Sie hatten ein Gästehaus in Salford. »Mein alter Herr konnte nicht mal furzen, ohne dass meine Mum es
Weitere Kostenlose Bücher