Tom Thorne 04 - Blutzeichen
Sie hier«, sagte er. Dann: »Einen Augenblick noch.« Und schließlich: »Gehen Sie rein.«
Thorne fragte sich, ob der Kerl prinzipiell in Sätzen sprach, die nur aus drei Worten bestanden. Als er und Tughan schließlich in Billy Ryans Büro vorgelassen wurden, bedachte er den Mann am Empfang mit einem eigenen kernigen Drei-Wort-Ausspruch. Er sah zu, wie Billy Ryan aufstand und Tughan wie einen geachteten Konkurrenten begrüßte. Tughan schüttelte Ryan die Hand, was Thorne für ausgesprochen überflüssig hielt, weshalb er es, als er selbst vorgestellt wurde, unterließ. Ryan schien das zu amüsieren.
Thorne kannte die zwei anderen Anwesenden von Fotos. Marcus Moloney war schnell aufgestiegen und galt als einer von Ryans engsten Mitarbeitern. Der Jüngere war Ryans Sohn Stephen.
»Packen wir’s an?«, fragte Ryan.
Nachdem die fünf Männer Platz genommen hatten – Tughan und Thorne auf einem kleinen Sofa und die anderen in Sesseln – und während etwas zu trinken angeboten und dankend abgelehnt wurde, musterte Thorne den Raum und die Anwesenden. Sie befanden sich in einem von zwei Zimmern über einem Ausstellungsraum für Büromöbel, von dem aus Ryan sein Multi-Millionen-Pfund-Imperium führte. Es war geräumig, aber die Ausstattung und die Möbel waren schäbig – schon seltsam, wenn man daran dachte, was sie im Laden darunter verscherbelten, der Ryan ebenfalls gehörte. Thorne fragte sich, ob Ryan einfach geizig war oder sich nichts aus Leder und Chrom machte.
In seinen fünfundzwanzig Jahren bei der Polizei, in denen er nie mehr als zwei, drei Kilometer von dem Ort entfernt gewohnt hatte, an dem er jetzt saß, war Thorne deprimierend häufig über den Namen William John Ryan gestolpert. Doch bis jetzt hatte er es auf wundersame Weise vermieden, direkt mit ihm zu tun zu haben. Nun, da er ihm zum ersten Mal leibhaftig gegenübersaß, nur durch einen niedrigen, mit Zeitschriften wie Daily Star, House & Garden, Racing Post, World of Interior übersäten Tisch getrennt, war Thorne gegen seinen Willen beeindruckt von der Art und Weise, wie der Mann sich darstellte.
Ryan hatte rote Wangen und einen kleinen, sensiblen Mund. Wenn er redete, blieben seine Zähne verborgen. Er war frisch rasiert. Eine Woge teuren Aftershaves umgab ihn und noch ein anderer Duft – vielleicht Haarspray, nach dem Aussehen seiner rötlichen, an manchen Stellen bereits grauen Haare zu urteilen, die sich über den Kragen seines Blazers ringelten. Thorne fühlte sich an einen gut erhaltenen Van Morrison erinnert.
»Ich nehme an, Sie haben noch keine Fortschritte bei der Suche nach diesem Irren gemacht«, sagte Ryan.
Im Lauf der Jahre war Ryans Dubliner Akzent etwas verblasst, aber er war noch immer deutlich herauszuhören. Als Reaktion kehrte Tughan seinen eigenen Akzent heraus. Thorne war nicht klar, ob Absicht dahintersteckte.
»Wir verfolgen eine Reihe viel versprechender Spuren«, sagte Tughan.
»Das hoffe ich. Und sehen Sie zu, dass Sie zu einem Ergebnis kommen.«
»Das werden wir …«
»Dieser Kerl hat Freunde von mir geschlachtet. Ich muss davon ausgehen, dass Mitglieder meiner Familie bedroht sind, solange er sich auf freiem Fuß befindet.«
»Da könnten Sie richtig liegen.«
Zum ersten Mal ergriff Moloney das Wort. »Also tun Sie was dagegen.« Seine Stimme klang ruhig und vernünftig, sein Gesicht unter den schütteren, schmutzig blonden Haaren war ausdruckslos und aufgedunsen. »Es ist eine Unverschämtheit, dass Sie Mr. Ryans Familie keinerlei Schutz anbieten.«
Ryan entging der Ausdruck auf Thornes Gesicht nicht. »Hab ich was Komisches verpasst?«, fragte er.
Thorne zuckte die Achseln. »Das war kein Brüller.« Er sah hinüber zu Moloney. »Eher leise Ironie. Denn normalerweise ist es doch Mr. Ryans Familie, die Schutz anbietet. Allerdings kann man es nicht wirklich anbieten nennen …«
Nun war es an Stephen Ryan, einzugreifen: »Sie Klugscheißer!« Der Sohn galt bei vielen als der kommende starke Mann. Obwohl er seinem alten Herrn wie aus dem Gesicht geschnitten war – auch wenn sein Gesicht noch nicht die Altersmilde zeigte –, war seine Stimme, nicht nur sein Ton, vollkommen anders. Stephen musste eine exklusive Privatschule besucht haben, das verriet der Akzent.
Thorne lächelte Stephens Vater zu. »Ist doch nett, wenn sich die teure Erziehung bezahlt macht.«
Ryan zog eine Grimasse, die man als Lächeln missverstehen konnte. An Tughan gewandt fragte er: »Wo haben Sie den
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