Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
im Klaren, dass er, obwohl Maxwell über seine Rolle in der Ermittlung eingeweiht war, nicht viel über die Fortschritte erzählen konnte.
»Wir müssen herausfinden, wer der erste Kerl war«, sagte er. »Das erste Opfer.«
Maxwell schwieg zehn, fünfzehn Sekunden lang, bevor er sich vom Spind löste. »Na dann viel Glück. Ich würde nämlich diesen Scheißanzug gern eine Weile in den Schrank hängen.« Er wechselte in die De-Niro-Stimme, um einen leichteren Ton anzuschlagen. »Ist dir klar, wovon ich hier rede?« Er blieb an der Tür stehen. »Phil kommt später vorbei. Seine vierzehntägige Sprechstunde. Ich glaube, er möchte mit dir reden.«
»Geht klar.« Hendricks hatte bereits vor ein paar Jahren die medizinische Betreuung der Obdachlosen im Lift übernommen. Versorgte sie mit Verbänden, Pflastern und den heiß begehrten, seltenen Rezepten. Er hatte manch gute Geschichte auf Lager, was sich die Leute alles einfallen ließen, um an eine Verschreibung zu kommen. Egal wofür …
»Irgendwas treibt ihn um«, sagte Maxwell.
»Hat es mit dem Fall zu tun?«
»Keine Ahnung. Darüber spricht er nicht mit mir.«
»Okay.«
Unsicher, ob das stimmte, warf Thorne ihm einen Blick zu. Ihm war klar, dass die Regel, über bestimmte Aspekte eines Falls Verschwiegenheit zu bewahren, sehr frei interpretiert werden konnte, wenn es um den Partner ging. Letztlich war es ihm scheißegal, aber er glaubte seinen Freund gut zu kennen: Für guten Sex würde Phil Hendricks jedes Staatsgeheimnis lüften.
Die Morgenbesprechung wurde immer mehr zu einer Morgenversammlung.
Brigstocke hielt mitten im Satz inne und wartete, dass sich das Gemurmel im hinteren Teil des Raums legte. »Was gibt’s denn so verdammt Wichtiges?«, fragte er.
»Entschuldigung, Sir. Wir haben uns gerade über das Pferd unterhalten.« Das letzte Wort wurde eher ausgespuckt als ausgesprochen, und wie auf Befehl brach der ganze Raum in lautes Gelächter aus.
»Ah ja«, seufzte Brigstocke. »Kennt jemand die Pferdegeschichte noch nicht?«
Ein paar von den rund vierzig Anwesenden hoben die Hand. Ein oder zwei fragende Gesichter.
Ein Streifenwagen war, nach allem, was man hörte, am frühen Morgen gerufen worden, nachdem ein Pferd auf der A1 gesichtet wurde. Die Beamten fingen das Tier ein und standen nun vor der Frage, wie man es am besten wegtransportierte. Dabei kamen sie auf die scharfsinnige Idee, das Pferd festzubinden, und schlangen ihm ein Polizei-Absperrband um den Nacken. Während ein Offizier am Steuer des Wagens saß, kauerte sein Kollege im offenen Kofferraum und zog das Pferd. Das funktionierte eine Weile prima, das Auto beschleunigte allmählich, und das Pferd trabte gelassen daneben her. Unglücklicherweise entpuppte sich ihr Konstrukt aber als so etwas wie eine Henkersschlinge, weshalb das Pferd ohne Vorwarnung unkontrolliert zuckend auf der Straße zusammenbrach. In der festen Überzeugung, dass das Tier tot sei, kletterte der Polizist aus dem Kofferraum und marschierte zu dem armen Vieh. Und konnte aus nächster Nähe mit ansehen, wie das Pferd aufsprang und über die nächste Hecke davongaloppierte, den verdutzten Bullen im Schlepptau.
Brigstocke endete mit den Worten, der betreffende Beamte erhole sich gerade im Chase Farm Hospital, während das Pferd, das sich noch immer auf freiem Fuß befinde, auf einer Bundesstraße gesichtet worden sei.
Damit war die Besprechung beendet.
»Das ist gut für die Moral«, sagte Brigstocke. »Können wir im Moment gebrauchen.«
Holland legte los. »Es kann nicht schaden, wenn wir uns ab und zu ins Gedächtnis rufen, dass nicht alles Mord und Totschlag ist.«
»Genau. Und Sie haben es nett erzählt«, fügte Kitson hinzu.
Das Kompliment schien Russell Brigstocke zu freuen, denn er grinste, während er um seinen Schreibtisch ging und auf dem Stuhl dahinter Platz nahm. Sein Büro war eines von dreien auf einem Gang, der sich entlang des Großraumbüros schlängelte. Hier befand sich die Einsatzzentrale. Holland und DC Andy Stone waren in einem der beiden anderen Büros untergebracht, sodass Yvonne Kitson in dem dritten Büro allein war, seit ihr Bürokollege zum Gärtnern beurlaubt war. Kitson und Stone waren Brigstocke – zusammen mit dem Büroleiter DS Samir Karim – in sein Büro gefolgt. Sie bildeten die Kerntruppe des Teams 3 und kamen hier nach den üblichen Morgenbesprechungen zusammen, um sich gegenseitig aufs Laufende zu bringen. Was hier gesprochen wurde, war inoffiziell und in der
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