Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
nicht leichter. Kaum schlief Chloe etwas länger, musste er länger arbeiten. Sein höherer Rang und dieser diffizile Fall hatten zur Folge, dass Sechzehn- und Achtzehn-Stunden-Tage zunehmend normal wurden. In diesem Augenblick wünschte er sich eigentlich nichts mehr, als seine kleine Tochter auf seine Brust zu legen, die Augen zu schließen und bis morgen früh liegen zu bleiben.
»Dave, bitte.«
So lief es, wenn Paare wegen der Kinder beieinander blieben. Sie waren einfach zu erschöpft, um sich zu trennen.
Natürlich war alles halb so schlimm, und ihm war klar, dass er sich glücklich schätzen konnte, dass Sophie ihn nicht verlassen hatte. Eigentlich war es ein Wunder, dass sie nicht einfach eine Tasche gepackt hatte und sich einen anderen geschnappt hatte. Einen Lehrer vielleicht, wie es Tom Thornes Gemahlin getan hatte. Er hatte Kurse für kreatives Schreiben angeboten. Vor etlichen Jahren. Holland schlug die Augen auf, als er spürte, wie Sophie Chloe hochnahm.
»Okay. Ich muss ohnehin telefonieren.«
Er sah zu, wie Sophie einen Arm voll Kram zusammensammelte: die Bücher und Kuscheltiere, die sie für das Gutenachtritual brauchte. Er winkte seiner Tochter nach, als Sophie sie ins Schlafzimmer brachte. Wenn sie nur mal wegfahren könnten. Nur sie beide. Das Baby bei den Großeltern lassen und ab in die Sonne, faulenzen und sich um den Verstand vögeln. Vielleicht ließ es sich einrichten, wenn sich die Aufregung um diesen Fall etwas gelegt hatte.
Holland stand auf und schloss die Tür, bevor er sein Handy nahm, sich durch die Nummern scrollte und wählte. Für diesen Anruf brauchte er Ruhe, und er wollte nicht gestört werden. Mit Sophie konnte er über Thornes verdeckte Ermittlung nicht sprechen.
Obwohl sie ihn nur ein paar Mal getroffen hatte, war Sophie nicht gerade begeistert von Tom Thorne. Relativ früh war sie zu der Überzeugung gelangt, er übe auf Holland einen schlechten Einfluss aus, und versuchte – ohne großen Erfolg –, Holland die Augen zu öffnen. Sie war aber nicht der Typ, der noch nachtrat, wenn jemand bereits am Boden lag. Daher hatte sie Thornes Namen kaum mehr erwähnt, seit sie vom Tod seines Vaters gehört hatte und von den Problemen, mit denen er sich seither herumschlug. Soweit sie informiert war, war Thorne an eine ruhigere Stelle versetzt worden.
Holland musste lächeln, als ihm wieder einfiel, wie Sophie ihm eines Abends auf die Pelle gerückt war. Er steckte damals mitten in den Vorbereitungen für seine Prüfung zum Sergeant, bei der die Kandidaten hypothetische Probleme lösen mussten. »Soll der Arsch doch mal wirklich zu was nütze sein«, sagte sie. »Wenn du auf dem Schlauch sitzt, überleg einfach, was Tom Thorne täte. Und entscheid dich dann für das exakte Gegenteil …«
»Sir?«
Ein Brummen am anderen Ende der Leitung.
»Können Sie sprechen?«
Wieder ein Brummen, aber diesmal ein zustimmendes.
Holland berichtete Thorne, dass Susan Jago die Leiche des ersten Opfers nicht hatte identifizieren können, worauf er erwartungsgemäß grob und ausfallend reagierte. Falls ihn in diesem Moment irgendwelche Passanten beobachteten, waren sie von Thornes Besoffener-Penner-Nummer bestimmt überzeugt.
Thorne klang etwas zuversichtlicher, als er von einem möglichen Muster in diesen Morden sprach. Er beschrieb die verschiedenen Obdachlosentypen und äußerte die Vermutung, dass der Mörder darauf achte, aus jeder dieser Gruppe ein Opfer zu wählen.
Holland langte nach einem Stift und einem Zettel. Er begann sich Notizen zu machen.
»Schreiben Sie das auf?«, sagte Thorne.
Er wollte das später ordentlich ausformulieren und, wenn möglich, morgen an Brigstocke weiterleiten. Jetzt reichten ein paar Stichpunkte: »Auswahlkriterien des Mörders: Jun kie/Alkoholiker/psychologische Probleme …«
Nebenan hörte er Sophie leise ein Gutenachtlied singen.
Zwölftes Kapitel
Thorne musste an Brendans Bemerkung über den Londoner Dreck denken, als er das Wasser sah, das sich dunkel färbte und in schwarzen Rinnsalen über seine Unterschenkel rann, bevor es gurgelnd in einem schwarzgrauen Strudel im Abfluss verschwand. An der Tür klopfte es, der Nächste wartete bereits. Also versuchte er, einen Zahn zuzulegen, was nicht leicht war. Der Wasserstrahl aus dem Duschkopf war kaum mehr als ein Getröpfel, und er musste ständig mit der Hand auf den Metallknopf an den Fliesen dreschen, damit überhaupt etwas rauskam.
Während er sich abschrubbte, sang er einen alten
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