Tom Thorne 05 - In der Stunde des Todes
Wir kommen nun wie verdammte Idioten rüber.«
Jetzt war es kurz nach zehn Uhr vormittags, und er lehnte sich erschöpft in seinem Stuhl zurück. Sein Blick schweifte zum Fenster. Hendon und die Gegend dahinter hatten die Farbe von Haferschleim.
Den Großteil des Vormittags verbrachte Thorne damit, sich ein paar Münzen zu erbetteln. Er saß oben in der Regent Street an eine Mauer gelehnt, eine Decke über den Beinen und den Rucksack für die Münzen vor sich ausgebreitet. Er hatte ein nettes Plätzchen ganz in der Nähe eines Geldautomaten gefunden, und auch wenn er nicht mit Scheinen rechnete, so hatten die Leute immerhin schon ihr Portemonnaie gezückt. Er machte einen ordentlichen Schnitt.
Außerdem hatte er ein ziemlich lukratives Jobangebot abgelehnt …
Ein Kerl in Timberland-Schuhen und lässigen Designerklamotten hatte sich neben ihm auf den Boden gehockt und gefragt, ob er daran interessiert sei, wirklich gutes Geld zu verdienen. Thorne müsse nur mit der Bahn rauf nach Camden oder Hampstead fahren – die Fahrkarte würde er ihm kaufen – und ein paar Stunden lang die Mülltonnen in einem oder zwei Wohnblocks durchsuchen. Thorne ahnte, wie das lief. Er bekäme ein paar Kröten die Stunde, damit er alles, was er an Brauchbarem fand und abgab – Kreditkartenauszüge, Kontoauszüge und so weiter – mit einem anständigen Gewinn weiterverkaufen würde. Kreditkarteninformationen konnte man für fünfzig Pfund losschlagen; Pässe und Ähnliches brachten weitaus mehr. Natürlich waren die Obdachlosen wie geschaffen für diese Arbeit. Sie rochen und sahen ohnehin schon beschissen aus, warum sollte es sie also stören, den Müll anderer Leute zu durchwühlen?
Thorne hatte dem Typen erklärt, dass er es sich überlegen wolle, und der hatte ihm den Namen eines Pubs genannt, über das er ihn erreichen konnte. Thorne brauche sich nur zu melden, er würde von ihm hören …
Als eine Fünf-Pfund-Note in seinen Rucksack flatterte, blickte Thorne auf. Hendricks ragte über ihm auf.
»Eine Tasse Tee ist heutzutage so gut wie unbezahlbar«, sagte Hendricks. »Und was sie für einen Kaffee verlangen, einfach lächerlich. Für Starbucks reicht das gerade so …«
»Danke für den Tipp.«
»Und wie läuft’s so?«
Hendricks hockte sich neben ihn, so wie der Mülltyp zuvor. Sie unterhielten sich leise, aber Thorne machte sich deshalb keine großen Gedanken. Jeder Penner, der sie so reden sah, würde das für nicht weiter ungewöhnlich halten. Die meisten kannten Hendricks von seiner Sprechstunde im Lift.
»Wenn jemand vorbeikommt, muss ich dich untersuchen«, sagte Hendricks.
»Kommst du aus einem bestimmten Grund?«
»Ich wollte nur deine Meinung hören … Na ja, ist ohnehin schon gelaufen, aber ich wollte es dir sagen.«
»Brendan hat mir schon erzählt, dass dich was umtreibt. Was ist es?«
Hendricks verdrehte die Augen. »Manchmal ist er ein solcher Wichser …«
»Habt ihr Krach?«
Hendricks wollte etwas erwidern, schluckte es dann aber hinunter. Es dauerte eine Weile, bis seine Gereiztheit sich legte. »Er ist ziemlich fertig wegen der ganzen Sache. Ist ja auch verständlich. Einer Menge seiner Schäfchen geht das unter die Haut, und entsprechend angespannt ist die Stimmung.«
Thorne wusste, dass Maxwell zu Recht beunruhigt war. Nach einem Mord war das Leben für die Hinterbliebenen nicht mehr dasselbe, es war für immer zerstört. Für diese Mordopfer waren die nächsten Verwandten und Freunde noch am ehesten die anderen Obdachlosen. Selbst wenn der Täter gefasst wurde, würde es schwer, zur Normalität zurückzukehren. Maxwell und seine Kollegen hatten die Folgen zu tragen …
»Also, schieß los«, sagte Thorne.
»Es geht um dieses Tattoo beim ersten Opfer. Es hat sich herausgestellt, dass es nicht einmalig ist, ja? Susan Jago glaubt, dass das von ihrem Bruder etwas anders ist, aber es muss ziemlich ähnlich sein, sonst hätte sie nicht gedacht, bei dem Toten handle es sich um ihn. Also wissen wir, wonach wir suchen müssen, nach einem anderen Tattoo. Ich meine, das setzt natürlich voraus, dass ihr Bruder tot ist, sonst ist es Zeitverschwendung, aber …«
»Hast du darüber schon mit Brigstocke gesprochen?«
»Wahrscheinlich ist es eine dumme Idee. Ich hab bloß überlegt, wie ich Susan Jago helfen könnte.«
Thorne zog die Knie an und schlang die Arme darum. »Heraus damit.«
»Es ist nicht kompliziert, ich habe nur ein bisschen gesurft. Auf den Websites der Pathological Society of
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