Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders
…
»Von wem stammt der Brief?«, fragte Porter.
»Ist in Ordnung, der ist von einem Mann.«
Porter zog die Augenbrauen hoch. »Na, das ist ja noch interessanter als die ganze Country-Musik-Sache.«
»Von Phil Hendricks.«
»Aha.« Sie dehnte das Wort genüsslich und setzte nach einer kurzen Pause hinzu: »Hendricks ist schwul, oder?«
Thorne feixte, genoss das Geplänkel, die Aufmerksamkeit. Er nickte zum Sofa. Elvis rollte sich schon wieder gemütlich zusammen. »Das ist das Couchbett«, erklärte er. »Ich zieh es später aus.«
»Wie bitte?«
Er konnte nicht anders und erwiderte ihr Grinsen. »Warum hab ich plötzlich das Gefühl, in einem Remake von so einer alten Polizeiserie zu stecken? Kommt jetzt gleich die Szene, in der Sie mir erklären, alles, was ich sage, kann gegen mich verwendet werden? Und ich antworte dann ›Mist‹?«
Sie lachte. »Haben Sie was zu trinken da?«
Thorne versuchte, eine ernste Miene aufzusetzen. »Sieben Stunden, bis wir wieder antreten müssen. Haben Sie das vergessen? Und zwar ausgeschlafen.«
»Ein Drink schadet schon nicht.« Sie setzte sich auf das Sofa. »Könnte Roger Rutsch-mir-den-Buckel-runter losziehen und uns was zu trinken holen?«
Roger ging in die Küche, kauerte sich vor den Kühlschrank und begutachtete den dürftigen Inhalt. Dabei wurde ihm plötzlich klar, dass er, was diese Frau anging, die er in seine Wohnung mitgenommen hatte, nicht die geringste Ahnung hatte, was er tat. Oder wie sich die Sache entwickeln würde. Aber dass er jede Minute genoss. Er rief zurück ins Wohnzimmer: »Ich fürchte, Ihnen bleibt nur die Wahl zwischen billigem Lager und billigem Lager.«
»Beides in Ordnung«, sagte Porter.
Die Schicht von 22 Uhr bis 6 Uhr konnte eine feine Sache sein oder auch nicht, das hing ganz von der Arbeitseinstellung und dem Wochentag ab. Am Anfang der Woche konnte es einigermaßen ruhig zugehen. Aber um Shepherd’s Bush, Acton, Hammersmith – eigentlich überall – wurde es lebhafter, wenn die Leute das Wochenende rochen.
PC Dean Fothergill wusste, dass man sich hin und wieder, wenn man zu zweit in einem Streifenwagen unterwegs war, etwas zurückziehen konnte. Zumindest für eine Weile. Man konnte sich ausgiebig Zeit für die Mahlzeiten genehmigen, wenn man tagsüber nicht genug Schlaf bekommen hatte. Jetzt, mit diesen Airwave-Geräten, wurde es natürlich schwieriger, aber sehen konnten sie einen ja nicht. Zumindest noch nicht. Also hatten einige Kollegen herausgefunden, dass man nur in Bewegung bleiben musste, damit einem niemand auf die Schliche kam. Vom Café zur Kebab-Bude und in die Seitenstraße; eine halbe Stunde hier die Zeitung lesen und später woanders eine Zigarettenpause einlegen. Das ging natürlich nur in einer Nacht, in der nicht viel los war.
Samstagnacht war immer Betrieb.
Viertel nach eins befanden sich Fothergill und seine Kollegin Pauline Caulfield in der Höhe des TV Centres, als der Anruf kam.
»So ein Typ hat aus Glasgow angerufen wegen seiner Schwester. Sie hätte heute Nachmittag raufkommen sollen, ist aber nie angekommen. Sie ist etwas über sechzig, lebt allein, er kriegt sie nicht ans Telefon. Er hat sich nicht früher bei uns gemeldet, weil er uns nicht beunruhigen wollte, blablabla. Zieht mal los, und schaut bei ihr vorbei, wenn ihr etwas Zeit habt, ja, Dean? Ich weiß genau, dass Sie und Pauline rumsitzen und Zeitung lesen.«
»Quatsch, Skip, wir haben uns gerade um diese Schläger vor der U-Bahn-Station White City gekümmert.«
»Ich glaub’s euch ja, auch wenn ich der Einzige bin. Ich schick euch alles Nötige über MDT.«
Kaum erschienen die Details auf dem Bildschirm des mobilen Datenterminals, wendete Caulfield den Astra.
Sie fuhren zügig Richtung Shepherd’s Bush. Fothergill schüttelte den Kopf. »Ich wette um fünf Pfund, die hat vollkommen vergessen, dass sie nach Glasgow wollte«, sagte er.
»Du bist ein guter Zuhörer«, sagte er.
Er hob die Taschenlampe und ließ den Lichtkegel über die Kellerdecke streichen, bevor er ihn wieder senkte. Der Junge kniff die Augen zusammen und drehte den Kopf weg. »Ich weiß, du hast Angst. Du würdest dir wahrscheinlich alles anhören, aber ich kenn mich aus, ich weiß, wann jemand wirklich zuhört und wann nicht. Damit hab ich beruflich oft zu tun. Das kann einen ganz schön schlauchen. Die meisten sitzen einfach nur da und lassen alles über sich ergehen, was man ihnen sagt. Sie nehmen nichts davon auf. Für dich ist es schwerer, das
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