Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders
zu überzeugen.«
»Diese »paar Sachen« …«, hakte Thorne nach.
Freestone schloss kurz die Augen. »Na ja, Sie wissen schon, Fotos, ein paar Videos, was auch immer.«
Was auch immer …
»Sagt Ihnen der Name »Farrell« etwas?«
Freestone schüttelte den Kopf. »Nehmen Sie Mullen hoch?«
»Wie fänden Sie das denn?«, fragte Thorne. »Mir ist klar, Sie haben Grund genug, ihn nicht zu mögen. Aber haben Sie nicht alle … Mitgefühl füreinander? Finden Sie, er hat sich was zuschulden kommen lassen?«
Freestone sank leicht in sich zusammen. Er atmete tief aus, als reiche es, und streckte die Arme aus. »Schauen Sie, es ist ein schöner Tag. Okay? Ich komme wegen der Landschaft. Deshalb bin ich hier.«
»Dann reden Sie mal lieber über die Bäume«, meinte Thorne.
Er sah Freestone nach, wie er zu seiner Schwester und seinen Neffen ging. An seinen Schuhsohlen klebten Kirschblüten.
Einunddreißigstes Kapitel
Es wurde allmählich dunkel. Und begann zu nieseln.
Thorne saß im BMW auf der anderen Straßenseite. Er rieb sich den schmerzenden Nacken, weil er den Kopf zur Haustür gedreht hatte, und sah auf die Uhr. Er wusste, wann die SO5-Leute gekommen waren.
Sie waren schon eineinhalb Stunden drinnen.
Wahrscheinlich hatte Mullen sich anfangs nichts weiter gedacht, war vielleicht sogar gelangweilt. Er war es inzwischen gewohnt, an seiner Tür Dienstausweise gezeigt zu bekommen. Wie schnell sich das wohl geändert hatte, als ihm die Polizeibeamten erklärten, zu welcher Einheit sie gehörten? Als sich die Tür öffnete, war Mullen selbst der Erste, den Thorne sah. Hinter ihm Luke, der, offensichtlich am Boden zerstört, seinen Vater am Ärmel der Joggingjacke zog.
Lieber Gott …
Der Junge verschwand aus dem Blickfeld, wurde sanft ins Haus zurückgezogen, und die Tür ging wieder zu, bevor zwei Polizeibeamte – ein Mann und eine Frau – heraustraten. Sie führten Tony Mullen die Auffahrt hinunter zu den Autos.
Es gab keine Handschellen.
Nur Fragen, in diesem Stadium …
Thorne wusste, dass sich noch drei oder vier Beamte im Haus befanden. Dass sie Unterlagen, Computer, Kartons mit Videos und DVDs herausbringen würden, sobald alle Bewohner das Haus verlassen hätten.
Ein paar Minuten, nachdem man Mullen weggefahren hatte, brachte man die Kinder heraus.
Thorne sah Luke Mullen wie einen Schlafwandler die Auffahrt heruntergehen. Seine Schwester hatte ihm den Arm um die Taille, eine Polizistin sacht die Hand auf die Schulter gelegt. Und da war sie wieder, die Frage, die ihm nicht mehr aus dem Kopf ging: Was für ein Verhältnis hatte Tony Mullen zu seinen Kindern?
Thorne dachte zurück an Adrian Farrells verzweifelte Ausflüchte im Bau, als sie ihn über die Telefonanrufe befragten. Thorne hatte begriffen, dass Farrell trotz allem, was er ihrer Vermutung nach durchgemacht hatte, seinen Vater beschützen wollte. Nicht sich selbst.
Thorne hatte keine Ahnung, ob Tony Mullens Kinder unter ihrem Vater hatten leiden müssen. Es war natürlich Wunschdenken, aber es war durchaus vorstellbar, dass zumindest eines von ihnen nicht missbraucht worden war. Maggie Mullen hatte entsetzliche Angst davor gehabt, was Lardner ihrem Sohn hätte erzählen können. Anscheinend war sie überzeugt, dass Luke nicht Bescheid wusste.
Verdrängung. Glauben.
Maggie Mullen war von beidem gezeichnet …
»Warum sind Sie bei ihm geblieben?«
»Ich hab ihn einmal verlassen. Vor Jahren.« Maggie Mullen schabte mit dem, was von ihrem Fingernagel übrig war, über die zerkratzte Tischfläche. Es war kalt in dem Besuchszimmer, und Thorne hatte die Jacke anbehalten. Aber der Gefangenen schien die Kälte nichts auszumachen. »Ich bin nicht lange weggeblieben.«
»Warum sind Sie zurückgegangen?«
»Wegen der Kinder, ist ja klar.«
»Sie hätten sie mitnehmen können. Bei einer Scheidung hätten Sie die Kinder bekommen.«
»Sie hängen an ihrem Vater«, sagte sie. »Und er hängt an ihnen. Mehr als an allem anderen …«
Thorne hatte Maggie Mullen nicht im Holloway Prison besucht, um in der Anklage gegen Tony Mullen weiterzukommen. Er wusste nicht einmal, ob Tony Mullen vor Gericht erscheinen musste. Damit hatte er nichts mehr zu tun.
Die Antworten, die er hier suchte, suchte er für sich selbst.
»Tony hat unsere Kinder nie angerührt«, sagte sie. »Nie.«
Thorne hätte sie gerne gefragt, ob sie sicher sei. Wie sie je sicher sein könne. Durch ihr Schweigen gab sie ihm jedoch zu verstehen, diese Frage bitte nicht zu
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