Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders
das.
»Sollen wir draußen essen?«, fragte Thorne.
Hendricks nahm sich eine Peperoni. »Machst du Witze? Es ist noch kälter geworden. Ich bin jung, frei und Single, Kumpel, und ich stürz mich in die Nacht. Das Letzte, was ich brauchen kann, sind auf Erdnussgröße geschrumpfte Eier.« Er griff sich seinen Pizzakarton und ging ins Wohnzimmer.
Thorne wollte ihn fragen, ob er Musik auflegen solle, überlegte es sich jedoch anders. Hendricks versuchte vielleicht, seinen Kummer zu überspielen, aber er war nicht verschwunden. Und er würde so gut wie sicher ein Album mit mindestens einem unpassenden Song herausziehen. Bei Thornes Sammlung ging das nicht anders. Das war nun mal das Problem mit der Countrymusic, wie man nicht müde wurde, ihm zu erklären: zu viele Songs über verendete Hunde und gebrochene Herzen.
»Schalt den Fernseher ein«, rief er stattdessen. »Schau mal, ob sie bei Sky ein Spiel zeigen.«
Er trat hinaus, um die Küchenstühle zu holen. Die Nacht war klar, aber das war noch keine Garantie, dass es später nicht noch schütten würde. Er dachte darüber nach, was er zu Brigstocke gesagt hatte. Dass der Fall ihn nicht wirklich auf Hochtouren brachte. Und was es brauchte, um seinen Puls zu beschleunigen. Er fragte sich, wie schlecht er sich wohl fühlen würde, wenn diese Leiche tatsächlich auftauchte, von der alle meinten, er wünsche sie sich herbei. Er hoffte nur, dass es, wenn es denn so kam, nicht Luke Mullens Leiche war.
Er sah auf, als blinkend und dröhnend ein Flugzeug vorbeiflog. Der Himmel hatte die Farbe einer staubigen Pflaume angenommen, übersät mit Sternen. Er trug die Stühle hinein und schloss die Tür. Hendricks brüllte bereits auf den Fernseher ein.
Trotz seiner Rückenschmerzen, der Langeweile und der morbiden Gedanken ging es Thorne eigentlich ganz gut. Vor allem verglichen mit der letzten Zeit. Trotzdem war es eine willkommene Abwechslung, ein paar Stunden mit jemandem zu verbringen, der – zumindest im Augenblick – schlechter drauf war als er.
Conrad
Der Bursche war clever, so viel stand fest. Ein richtiger kleiner Klugscheißer. Aber was brachte einem die ganze Schlauheit, wenn man nicht am Steuer saß? Der Junge hatte wahrscheinlich viel mehr Prüfungen bestanden als er, aber das half ihm jetzt nicht. Mit einer Tüte über dem Kopf war Schluss mit schlau.
Denn jetzt war er am Drücker.
Noch bevor er den Satz zu Ende gedacht hatte, fand er die Formulierung irgendwie gelungen. »Am Drücker«, das passte zu Schusswaffen und Spritzen.
Er war schon immer groß und kräftig gewesen und hatte auf sich geachtet. Aber das hatte ihm keinen Respekt eingebracht. Zumindest nicht, als er jünger war. Damals hatte ihm das Entscheidende gefehlt, im Blick oder wer weiß wo, das die anderen dazu brachte, einen ernst zu nehmen. Sich zurückzuhalten und es mit einem Lächeln zu versuchen und einem vorsichtigen »Schon gut, Kumpel, wie du meinst«. Dass die Leute so auf ihn reagieren, hatte er sich gewünscht, seit seine Eier nach unten gerutscht waren. Und er konnte sich noch ganz genau erinnern, wann dieser Wunsch zum ersten Mal in Erfüllung gegangen war. Das war vor ein paar Jahren gewesen, aber er wusste noch jedes verdammte Detail. Es war wie ein Film, in dem er die Hauptrolle spielte.
Ein feuerwehrroter Fiesta.
Der Wichser mit dem Irokesen hinter dem Steuer hatte ihn vor der Ampel geschnitten, hatte sich einfach vor ihn gedrängt, statt in seiner Spur zu bleiben, wie es sich gehörte. Und was die Höhe war, dann hatte der Arsch ihm auch noch den Finger gezeigt, als er gehupt hatte. Was ja wohl sein gutes Recht war!
Also verfolgt er den Wichser. Der ist total durchgeknallt, rast mit achtzig bis hundert Sachen durch Dalston und Hackney, bis nach Bow. Auf den Straßen sind riesige Pfützen, und weil’s so früh ist, ist kaum Verkehr. Nur ein paar Nachtbusse sind unterwegs und ab und zu ein klappriges Minicab, das es mit knapper Not schafft, ihnen auszuweichen.
Irgendwo hinter dem Victoria Park bremst der Fiesta scharf und bleibt stehen. Der Typ steigt aus und fuchtelt mit einem Baseballschläger herum, schüttelt den Kopf und zeigt mit dem Finger auf ihn. Er brüllt herum und kommt näher.
Ab jetzt in Zeitlupe. Und richtig laut. Er spürt, wie sein Herz unter der Daunenjacke rast. Aber vor Erregung, nicht vor Angst. Und als er aus dem Auto aussteigt, bekommt er den Blick, von dem er so lange geträumt hat.
Das ist der Augenblick, in dem sich die Machtverhältnisse
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