Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders
nicht mehr spüren«, sagte Hendricks.
»Jetzt hör mit dem Gejammer auf.« Es war kühl, keine Frage, und Thorne war noch nicht dazu gekommen, eine Gasflasche für den Heizstrahler zu besorgen, aber er fand es trotzdem nett hier draußen. »Allmählich versteh ich, warum sich Brendan aus dem Staub gemacht hat.«
Hendricks fand das anscheinend nicht so witzig. Er zog die Beine an und kauerte sich, die Hände um die Knöchel, auf seinen Stuhl.
»Vielleicht braucht er ein bisschen Zeit und Abstand, um Dampf abzulassen«, sagte Thorne.
»Die meiste Zeit hab ich gebrüllt«, seufzte Hendricks, dabei blieb eine Atemwolke vor seinem Gesicht hängen. »Er blieb die meiste Zeit über ruhig.«
»Vielleicht sind ein, zwei Tage Abstand nicht schlecht.«
Hendricks sah aus, als fände er, das sei so ziemlich die übelste Idee, die jemals ausgekocht worden war. »Er hat eine Menge von seinem Kram mitgenommen. Und gesagt, den Rest wolle er morgen holen.«
In den letzten Monaten hatten die beiden zusammen in Hendricks’ Wohnung in Islington gelebt, aber Brendan hatte seine Wohnung behalten. »Damit er einen Platz hat, wo er sich hin verziehen kann, wenn Schluss ist«, hatte Hendricks früher gewitzelt.
Bislang war es nur um den Streit an sich gegangen, wie übel und wie endgültig er war. Und Hendricks’ Betonung, dass es endgültig war. Worüber er anscheinend ungern sprechen wollte, war der Anlass für den Streit.
Thorne fragte ihn danach und wünschte sich sogleich, er hätte es gelassen, als er sah, wie sein Freund sich von ihm wegdrehte und log.
»Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, um ehrlich zu sein. Aber es war nichts Wichtiges. Ist es ja eigentlich nie, oder? Man macht wegen der albernsten Sachen Schluss.«
»Stimmt …«
»Ich glaube, es hat sich über die letzten Wochen aufgebaut. Wir haben beide ziemlich Stress in der Arbeit, verstehst du?«
Obwohl Thorne vermutete, dass Hendricks ihm nicht alles sagte, hatte er wohl mit dem Stress recht. Er hatte selbst oft genug gesehen, wie Hendricks nach der Arbeit einknickte, und er wusste, dass auch Brendans Job kein Honiglecken war. Brendan Maxwell arbeitete für London Lift, eine Organisation, die den Wohnungslosen der Stadt dringend benötigte Hilfsangebote machte. Thorne hatte viel mit ihm zu tun gehabt, als er sich vor einem Jahr im Rahmen seiner Ermittlungen in das Milieu der Obdachlosen eingeschleust hatte.
Thorne sah auf seine Uhr. »Wann haben wir diese Pizza bestellt?«
»Ich werde es nicht besser treffen, oder?« Hendricks stand auf und lehnte sich an die Mauer neben der Küchentür. »Besser als mit Brendan, mein ich.«
»Komm schon, Phil …«
»Nein, werd ich nicht. Es hat keinen Zweck, sich was vorzumachen. Ich versuche nur, realistisch zu sein. Das ist alles.«
»Ich geb dir vierzehn Tage«, sagte Thorne. »Einen Zehner, dass du innerhalb von zwei Wochen ein neues Piercing hast. Bist du dabei?« Das war einer ihrer Witze: dass Hendricks jeden neuen Freund mit einem Piercing ein Denkmal setzte. Eine einzigartige, wenn auch etwas schmerzhafte Weise, die Kerben am Bett anzubringen. Es war einer ihrer immer wiederkehrenden Witze gewesen, bis Brendan aufgetaucht war.
»Es ist einfach der Gedanke, wieder Single zu. sein.«
»Du bist ja noch kein Single.«
»Wieder in der Szene unterwegs. Wie deprimierend ist das?«
»Das wird nicht der Fall sein. Ich sag’s dir.«
»Wir waren so dankbar, dass wir uns gegenseitig davor bewahrt haben, verstehst du? Dass wir uns gefunden haben. Scheiße.«
Thorne sah, wie Hendricks immer wieder mit dem Absatz seines Bikerboots gegen den Ziegel hinter ihm trat. Er sah, wie ihm wieder Tränen in die Augen stiegen. Plötzlich kam es ihm so vor, als habe er den ganzen Tag nichts anderes getan, als Menschen dabei zuzusehen, wie sie sich vergeblich abmühten, nicht zu weinen.
Die ungemeine Erleichterung, die er empfand, als das Telefon klingelte, wurde sofort von einem ebenso starken Anfall von Schuldgefühl wettgemacht. Er überlegte, ob er es klingeln lassen sollte. Was Hendricks von ihm dachte, wenn er aufstand und ans Telefon ging. Wie lange derjenige am anderen Ende es noch klingeln lassen würde.
Als Hendricks in die Küche deutete, zuckte Thorne die Achseln und eilte ans Telefon.
Irgendwie musste man es ihm anhören, denn Brigstocke fragte: »Kein guter Zeitpunkt?«
Thorne antwortete ausweichend, aber so ehrlich, wie es ihm möglich war. »Ja und nein.«
»Ich wollte nur wissen, wie Ihnen das Leben
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