Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders
bis zum Sommer warten?«, schlug Hendricks vor. »Ich frier mir hier die Eier ab.«
»Dann zieh dir deine Jacke an.«
Wie auch immer die offizielle Sprachregelung für seine plötzliche und unerklärliche Abwesenheit letztes Jahr gewesen war, die man ihm aufgezwungen hatte, das hier kam dem Gärtnern am nächsten, was er je getan hatte. Oder je tun würde. Eine halbe Stunde am Samstagnachmittag im Baumarkt und ein Wochenende Do-it-yourself-Hölle, mehr war nicht nötig gewesen, um auf den paar Quadratmetern kaputten, verdreckten Pflasters hinter seiner Küche ein kleines Wunder zu bewirken.
»Ich wollte ein bisschen Mitgefühl, klar«, sagte Hendricks. »Deshalb bin ich gekommen. Und Bier ist natürlich immer gut. Aber ich hatte nicht vor, mir eine beidseitige Lungenentzündung einzufangen.«
Thorne trank die letzte Dose von Sainsburys belgischem Lager und ließ den Blick über das wandern, was jeder Makler mit etwas Selbstachtung – falls das nicht ohnehin ein Widerspruch in sich war – als »kleinen, gepflegten Innenhofbereich« bezeichnet hätte. Ein paar Pflanzen in Plastikkübeln, ein klappriger Grill auf Rädern sowie ein Terrassenheizstrahler.
Und ein schluchzender Pathologe …
Eigentlich hatte Hendricks das Schlimmste bereits hinter sich, aber seine blutunterlaufenen Augen sahen immer noch aus, als liefen sie jeden Augenblick über, und auch das Zittern in der Mitte seines Kinns war noch nicht ganz verschwunden. Thorne hatte seinen Freund schon öfter weinen gesehen. Und obwohl es stets unangenehm war, war er immer wieder von dem geradezu schmerzhaft widersprüchlichen Schauspiel fasziniert. Besser als jeder andere wusste er, wie sehr sich der Mann aus Manchester Dinge zu Herzen nahm. Dennoch blieb Phil Hendricks – zumindest seiner äußeren Erscheinung nach – eine beeindruckende, ja aggressive Person. Er war ein Gruftie mit kahl geschorenem Schädel, schwarzen Klamotten und jeder Menge Tattoos und Piercings in den entsprechenden Gegenden. Ihn in aufgelöstem Zustand zu sehen, hatte etwas davon, Rentner beim Zungenkuss zu beobachten oder einen Hell’s Angel, der ein wimmerndes Neugeborenes wiegt. Es war zutiefst beunruhigend. Wie eine dieser geschmackvollen Fotopostkarten.
»War ich denn mitfühlend?«, fragte Thorne.
»Nein, anfangs nicht.«
»Das kommt daher, weil ich weiß, was du für eine entsetzliche Drama-Queen sein kannst. Du stehst vor der Tür und jammerst dir einen ab, und das kann alles heißen. Ich weiß nicht, ob jemand gestorben ist oder ob du nur eine von deinen George-Michael-CDs verloren hast.«
Thorne bekam sein Grinsen. Hendricks war bestimmt keine Drama-Queen, aber als er vor einer Stunde kam, brauchte Thorne tatsächlich eine Weile, um zu realisieren, wie ernst die Lage war. Hendricks hatte ihm erzählt, er hätte sich mit seinem Freund Brendan völlig zerstritten, und nun sei endgültig Schluss. Aber Thorne kannte beide lange genug, um derartig desaströse Ankündigungen richtig zu deuten.
Thornes erste Taktik hatte schon ein-, zweimal funktioniert: Bier und Ablenkung. Wenn der erste Tränenerguss versiegte und Thorne Hendricks im Wohnzimmer mit einem Bier ruhiggestellt hatte, versuchte er, das Gespräch auf berufliche Dinge zu lenken. Hendricks arbeitete als Pathologe in Russell Brigstockes Major Investigation Team beim Homicide Command (West) mit und war der Pathologe, mit dem Thorne in den letzten Jahren am häufigsten zusammengearbeitet hatte. Außerdem war er ein enger Freund geworden. Wahrscheinlich der einzige Mensch, der ihm eine Niere spenden würde, sollte er je eine brauchen. Und mit Sicherheit der einzige, der ein oder zwei herumliegen hatte.
Ihre Plaudereien über Tod und Zerstückelungen waren oft auf eine perverse Art erbaulich, aber heute war ihr Gespräch von Anfang an dazu verdammt, im Nichts zu verlaufen. So groß ihr Schatz an gemeinsamen Fällen war, im Augenblick hatten sie durch Thornes Position an der Seitenlinie nicht eine aktuelle Ermittlung gemein. Außerdem war die einzige Leiche, über die Hendricks reden wollte, seine Beziehung zu Brendan. »Es ist nicht so wie früher«, sagte er. »Diesmal meint er es wirklich ernst.«
Thorne dämmerte, dass es diesmal ernster war, als er zunächst angenommen hatte. Dass es sich hier um mehr als einen kurzen Zwist handelte. Er hatte sich nach besten Kräften bemüht, seinen Freund zu beruhigen. Er hatte eine Pizza bestellt und ein paar Küchenstühle in den Garten geschleppt.
»Ich kann meine Füße
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