Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders
Schule?«
Thorne sah ihn an, als spreche er Chinesisch. »Was?«
»Ich meine mit Porter.« Er senkte seine Stimme noch mehr. »Ich hatte nur den Eindruck, Sie seien echt stinksauer, als ich vorhin gesagt habe, ich will mitgehen.«
»Jetzt werden Sie nicht albern!«
Als Porter und Hignett fertig waren, vereinbarte sie mit Holland, sich später an der Schule zu treffen. Dann ging Thorne mit ihr die Treppe hinunter ins Erdgeschoss.
»Sie sind ziemlich nett zu mir«, sagte Thorne leise und nickte einem entgegenkommenden Polizeibeamten zu, mit dem er ein-, zweimal gesprochen hatte. »Das hat Luke in dem Video gesagt.« Es war ein ziemlich dramatischer Moment gewesen, als sich die Gestalt mit der Spritze vor die Kamera schob. Das Bild war die ganze Zeit über leicht verwackelt, offensichtlich war die Kamera nicht auf einem Stativ befestigt, sondern wurde mit der Hand gehalten. Was immer Luke sagte oder nicht sagte, in diesem Augenblick wurde klar, dass er von mehr als einer Person gefangen gehalten wurde. Dass sie es mit einer Entführergruppe zu tun hatten. »Sind es zwei Kidnapper, was glauben Sie? Oder mehr?«
»Wenn es nur zwei sind, wette ich drauf, dass der andere die Frau ist, mit der Luke gesehen wurde.«
»Ist das häufig? Dass ein Mann und eine Frau zusammenarbeiten?«
»Ich hatte schon öfters mit einem Pärchen zu tun«, sagte Porter. »Versteht sich von selbst, dass die Frau meist direkt an der Entführung beteiligt ist. Die Vertrauensfigur.«
»Okay.«
Versteht sich von selbst.
Thorne fragte sich, warum sich dies bei so vielen Fällen mit hohem Bekanntheitsgrad von selbst verstand. Aber offensichtlich war es so. Hindley wurde weitaus mehr verabscheut als Brady. Maxine Carr, bei der bewiesen wurde, dass sie nicht einmal davon wusste, dass ihr Freund zwei junge Mädchen umgebracht hatte, schlug mehr Hass entgegen als ihm.
»Ein paar von den Kids glauben doch, sie schon früher zusammen gesehen zu haben?«, fragte Thorne. »Luke und diese Frau. Sie hat sich offenbar Zeit gelassen, sich an ihn heranzumachen.«
»Das hat sich gelohnt«, meinte Porter. »Apropos gelohnt, es gibt noch immer keinen Hinweis auf eine Lösegeldforderung. Was heißt, dass sich für niemanden etwas gelohnt hätte.«
»Die Forderung kann ja mit dem nächsten Video kommen.« Doch als sie aus dem Treppenhaus in die Lobby im Erdgeschoss traten und auf die Drehtüren zumarschierten, dachte Thorne mehr über das »wie« als das »warum« nach. Er stellte sich vor, wie eine Frau sich an ihr Opfer heranmacht. Immer lächelnd, es berührt, stets aufmerksam ist. Vertrauen musste wachsen, wie Körper und Geist. Und wurde genauso missbraucht. Er dachte an das Lächeln, das etwas unsicher wurde, nachdem der Junge sich so angestrengt hatte, Witze zu reißen. An die Leere in seinen Augen. Ob Luke Mullen jemals wieder jemandem vertrauen könnte?
Es hatte den ganzen Vormittag nicht aufgehört zu nieseln, dennoch hielten sich zahlreiche Leute im Eingangsbereich auf. Ein Pärchen saß nebeneinander auf Betonpfeilern und aß Sandwiches. Diese Poller, deren Zweck es war, Autobomber aufzuhalten, waren vor Londons öffentlichen Gebäuden wie Pilze aus dem Boden geschossen. Thorne fragte sich manchmal, ob nicht Zementfirmen insgeheim diese Terroristengruppen sponserten. Er weihte Porter in seine Theorie ein, und sie blieben kurz stehen, um über den Witz zu grinsen, bevor Thorne zur U-Bahn-Station am St. James’s Park aufbrach und Porter sich auf den Weg in die Tiefgarage machte.
»Stört Sie das?«, fragte Thorne, »dass niemand Geld von den Mullens fordert? Dass überhaupt nichts gefordert wird?«
»Diese Fälle sind nie vorhersehbar. So viel habe ich gelernt. Aber ja, das ist ziemlich seltsam.«
»Sie haben Luke bereits seit Tagen in ihrer Gewalt.«
»Vier Tage, fünf Nächte. Andererseits haben wir uns einen Kopf gemacht, weil sie sich nicht melden, und dann haben sie sich gemeldet.«
Thorne knöpfte sich die Lederjacke zu. »Etwas bereitet mir Kopfzerbrechen«, erklärte er. »Etwas in dem Video.«
»Was?«
»Wenn ich Ihnen das sagen könnte. Irgendwas stimmt nicht. Etwas, das er sagte, oder die Art und Weise, wie er es sagte.«
»Das ist das Alter, mein Freund. Da macht sich Alzheimer bemerkbar.«
Thorne zwang sich zu einem Lächeln.
»Dann bis später in Arkley«, sagte sie. »Mal sehen, wie’s ihnen geht, okay?«
»Gut.« Er wandte sich zum Gehen. »Was halten Sie von Mullen?«
»Ich glaube, er sollte sich ins Gedächtnis
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