Tom Thorne 08 - Die Schuld des Blutes
dass sie alle ihre eigenen Rekorde geschlagen hatte.
Hoffentlich ging es Thorne auch so.
Die Fahrt vom Bahnhof in Reading nach Caversham, einem kleinen Vorort im Norden Readings auf der anderen Seite der Themse, dauerte nur ein paar Minuten. Das Taxi, dessen Fahrer nonstop redete, fuhr über eine alte Brücke in eine Gegend, die mehr wie die Zuckerbäckerversion eines englischen Dörfchens aussah als wie eine Pendlervorstadt. Schließlich hielt er - auf Chamberlains Bitte hin - etwa hundert Meter vor einem schmucken, von der Straße zurückgesetzten Reihenhaus, den Fluss in Sichtweite.
Auf dem Weg zum Haus sah Chamberlain die links und rechts am Ufer vertäuten Ruderboote und Dampfschiffe und Schwäne, die in der Flussmitte trieben, während ihnen Kinder vom anderen Ufer aus Brot zuwarfen, wobei sie die Brotscheiben wie Frisbees drehten.
»Hab ihn, genau am Hals«, rief eines von ihnen.
»Probier’s noch mal …«
Chamberlain hatte sich bereits dazu entschlossen, im schlimmsten Fall näher Richtung London zu ziehen. Und das hier war genau ihr Geschmack. Sie liebte das Wasser, und auch wenn dieser Flussabschnitt etwas weniger Charme hatte, war er bestimmt um einiges sauberer als der Kanal.
Und es gab hier Leute unter fünfzig Jahren.
Ein mürrisch wirkendes Mädchen um die vierzehn öffnete die Tür. Darauf bedacht, die Tür nicht zu weit aufzumachen, musterte sie Chamberlain. Chamberlain rief
sich ihre Unterlagen ins Gedächtnis. Das musste Nicola sein, Sandras Tochter aus dritter Ehe. Ihr dritter Mann war der Leiter des hiesigen Tesco-Supermarkts. Chamberlain spielte kurz mit dem Gedanken, der Kleinen einen gehörigen Schreck einzujagen und sie mit ihrem Namen anzusprechen, zog dann aber doch nur ihren Ausweis heraus und fragte sie, ob ihre Mutter zu Hause sei.
Nach ein paar Sekunden verschwand das Mädchen und schloss die Tür bis auf einen kleinen Spalt. Während sie wartete, hörte Chamberlain die Schritte des Mädchens auf der Treppe, anschließend kurzes Getuschel, und sie begann zu hoffen, dass sich das hier wie gewünscht entwickelte. Ob das Mädchen Bescheid wusste über ihren doppelt so alten Halbbruder, einen Serienmörder, der sie wahrscheinlich früher beaufsichtigt hatte?
Die Frau entschuldigte sich, als sie die Tür aufriss. »Tut mir leid … Sie kann manchmal ziemlich maulfaul sein. Und sie hat es nicht gerne, wenn ich mich aufrege.«
»Oh, kein Problem. Ist alles in Ordnung?«
Die Frau neigte den Kopf. »Ich verstehe nicht. Sie sagte, Sie wären von der Polizei.«
»Ich arbeite für die Polizei, ja, aber …«
»Sie sind also nicht wegen …« Die Frau schüttelte kurz den Kopf, als sie Chamberlains verwirrten Blick sah. »Entschuldigen Sie, ich habe voreilige Schlüsse gezogen. Wir hatten einen Todesfall in der Familie, und ich dachte, das sei der Grund.«
»Oh …, das tut mir leid«, sagte Chamberlain. »Was ist passiert?«
Die Frau lehnte sich an die Tür. »Eine dieser Geschichten, meine Liebe. Der arme Kerl war zur falschen Zeit am falschen Ort, das ist alles. Traf auf einen Irren. Wir standen
uns nicht besonders nahe, um ehrlich zu sein, trotzdem ist es ein Schock.«
Chamberlain wartete.
»Mein Neffe«, sagte die Frau. »Noch nicht mal dreißig! Nur Gott weiß, wann sie ihn mich beerdigen lassen.«
Chamberlain räusperte sich, und ihre Blicke trafen sich. »Entschuldigen Sie bitte, dass ich ungelegen komme, aber eigentlich wollte ich mit Ihnen über Raymond Garvey sprechen.«
Die Frau blinzelte und richtete sich langsam auf.
»Ein Name aus der Vergangenheit, ich weiß«, sagte Chamberlain. »Und wahrscheinlich völlig unvermutet.«
»Nun, ja und nein.«
»Wie bitte?«
Sandra Phipps lächelte halb erleichtert, halb resigniert, und sie lächelte noch immer, als sie einen Schritt in ihren dunklen Gang trat. »Ich mach uns besser was zu trinken«, sagte sie.
Mittags brachte Gibbons Sandwiches und was Kaltes zu trinken nach oben. Er stöhnte, er sei nur noch ein Kellnergockel, und zuckte zusammen, als Spibey ihn einlud mitzuspielen. Bevor er ging, machte er klar, dass zumindest einer von ihnen unten Wache schieben sollte. »Sie wissen schon, den Job machen, für den wir bezahlt werden.«
Also der da ist ein Pedant, dachte Spibey.
Nach einer Stunde lag Dowd klar vorn und hatte mehrere Chipsstapel ordentlich vor sich aufgereiht. Er konnte sogar Fowler aushelfen, der anfangs schwer gegen seine beiden Mitspieler verloren hatte. Wenn man das letzte Spiel mitrechnete, lag
Weitere Kostenlose Bücher