Tom Thorne 08 - Die Schuld des Blutes
Spibey hatte gerade das Frühstück verteilt. In Fowlers Appartement hatte er einen McMuffin Bacon & Egg vorbeigebracht, und Andrew Dowd hatte ein Mandelcroissant bekommen. Der Duft machte ihn hungrig, am liebsten hätte er sofort die Zähne in das Schinkensandwich geschlagen, das er für sich selbst gekauft hatte und das nun in der Lobby unten kalt wurde. Schon komisch, dachte er, wie verschieden die Essgewohnheiten waren. Der Hobbit-Fan Gibbons hatte gerade den Deckel eines dämlichen Müslibechers abgenommen, als Spibey sich auf den Weg nach oben machte.
Als Spibey bei McDonald’s in der Schlange stand, hatte Thorne angerufen. Er hatte sich entschuldigt, dass er sich nicht wie versprochen am Abend zuvor gemeldet hatte, und erklärt, er habe in einer Sitzung festgesessen. Spibey hatte ihm versichert, alles sei in Ordnung, ihre Gäste seien am Leben und wohlauf. Betont witzig hatte er hinzugefügt, es sei wirklich nicht nötig, alle fünf Minuten anzurufen.
»Ich mach das schon etwas länger als Sie«, hatte er gesagt.
Thorne hatte gewitzelt: »Das bezweifle ich, Brian, auch wenn Sie so aussehen.«
Ein frecher Hund.
Er war sich nicht sicher, ob Thorne einverstanden gewesen war, als er in ihre Kartenrunde platzte. Seltsam, er hatte Thorne nie für einen Pedanten gehalten. Wäre ja noch schöner, wenn man an die Geschichten denkt, die Spibey im Lauf der Jahre über ihn zu Ohren gekommen waren. Ja, den Vorschriften gemäß müssten er und Gibbons beide unten sitzen, die Augen auf die Überwachungsmonitore gerichtet. Aber Spibey war sich sicher, dass er die beiden Männer ziemlich gut kennengelernt hatte und am besten wusste, wie sie entspannt und glücklich blieben. Die beiden hatten schließlich jeden Grund, gestresst zu sein, und sie waren beide nicht der Typ, der betete oder ein gutes Buch las, so viel stand fest.
Er gab den Code für Dowds Appartement ein, klopfte und wartete. »Essen fassen, Andy.«
Dowd öffnete die Tür und nahm ihm die Tasse und die Papiertüte ab.
»Wird Zeit, dass sie diesen Typen kriegen«, sagte Spibey. »Sonst werdet ihr noch richtig fett hier. Und ich auch.«
Dowd schien den Witz nicht zu begreifen und schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Graham zunimmt, selbst wenn er wollte. Die Drogen haben seinen ganzen Stoffwechsel durcheinandergebracht.«
»Okay, mag sein«, antwortete Spibey nach kurzem Zögern. »Ich lass euch jetzt allein.« Er trat ein paar Schritte zurück und drehte sich um, als Dowd die Tür schließen wollte. »Hör mal, spielen wir später noch eine Runde? Graham hätte Lust darauf.«
Dowd hatte bereits in sein Croissant gebissen. »Ja, warum nicht? Jetzt hat er wenigstens etwas Kohle zum Spielen.«
»Die hol ich mir zurück, keine Bange.«
»Wir werden sehen.«
»Ich spür’s, heute ich mein Glückstag.«
»Das siehst aber auch nur du so«, meinte Dowd.
Vierunddreißigstes Kapitel
Ihr Zug kam kurz vor Mittag in Reading an. Ein Blick ins Wählerregister hatte gezeigt, dass Sandra Phipps - wie sie vor dreißig Jahren hieß - nicht berufstätig war. Damit war der Mittag so gut wie jede andere Zeit, um sie zu Hause anzutreffen, vermutete Chamberlain. Falls niemand da war, würde sie schon eine Möglichkeit finden, ein, zwei Stunden totzuschlagen. Mal sehen, was Reading in Sachen Shoppingtherapie zu bieten hatte. Sie konnte es dann später noch mal probieren.
Wie bedrohlich konnte eine mit Einkaufstüten beladene Frau mittleren Alters wirken?
Auf dem Bahngleis in Paddington hatte Chamberlain darüber nachgedacht, dass Anthony Garvey sich hier das Geld für seine Killertour besorgt und Chloe Sinclairs Leiche entsorgt hatte. Sie wusste nicht, ob das ein schlechtes oder ein gutes Omen war, und konzentrierte sich darauf, was der Tag, der vor ihr lag, bringen konnte: ein positives Gesprächsergebnis; den Durchbruch, den sie Tom Thorne hoffentlich melden konnte.
Als sie im Zug ihre Unterlagen durchsah, musste sie ständig an den gestrigen Abend denken. Sie fragte sich, ob sich die Seelenlage, in der Thorne sich befunden hatte - womöglich noch immer befand -, auf die Ermittlung ausgewirkt hatte. Persönliche Probleme waren nie ohne Einfluss auf die Arbeit, das war ihr klar. Sie konnte sich noch gut an eine
Phase von ein paar Monaten erinnern, das war vor zwanzig Jahren gewesen, als es zwischen ihr und Jack ziemlich gekracht hatte. Danach hatte sie interessehalber ihre Verhaftungsquote überprüft und zu ihrer Überraschung festgestellt,
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