Tom Thorne 08 - Die Schuld des Blutes
passte.«
»Das heißt, er hatte es auf sie abgesehen?«
»Sieht so aus. Er läuft nicht einfach durch die Gegend und klingelt an Türen, bis jemand aufmacht, dessen Gesicht ihm gefällt.«
»Aber warum Emily?«, fragte Holland.
Ein Blick Thornes genügte, und Holland verstand, wie dämlich diese Frage zu diesem Zeitpunkt war, an dem es noch keine Antwort gab. Ihnen beiden war klar, dass die richtige Antwort, falls sie sie je finden sollten, so gut wie sicher ihre beste Chance war, an Emily Walkers Mörder ranzukommen. Momentan musste Thorne sich damit zufriedengeben, ein »Weiß der Himmel« vor sich hin zu brummen, bevor er über die Straße lief und zum Haupttor ging.
»Diese Garvey-Sache ist schon seltsam, oder?« Holland, ein paar Meter hinter Thorne, bemühte sich, Schritt zu halten. »Vor meiner Zeit, aber Scheiße … Das war ein großer Fall, oder?«
Vor ihm wedelte Thorne mit seiner ID-Karte vor dem Wachbeamten im Häuschen.
»Hatten Sie mit dem Fall zu tun?«
Eine halbe Minute später war Holland dran und wartete, während ihm der Nieselregen ins Gesicht wehte, bis seine ID-Karte überprüft war. Thorne war bereits durch die Schranke und lief über den Parkplatz aufs Becke House zu. Hollands Frage schien er nicht gehört zu haben.
Thorne war an der Ermittlung in dem Raymond-Garvey-Fall beteiligt gewesen, wenn auch nicht an entscheidender Stelle. Er hatte ein paar Klinken geputzt und in einer Nacht bei der Spurensuche mitgearbeitet. Der Fall war damals die größte Ermittlung seit mehr als zehn Jahren gewesen, Hunderte von Beamten hatten daran gearbeitet, einen Mann zu fassen, der, wie sich herausstellte, sieben Frauen auf dem Gewissen hatte. Es gab wohl nicht viele Beamte in der Met, die nicht in der einen oder anderen Weise an der Ermittlung beteiligt waren.
Im Becke House stieg Thorne in den Lift und drückte den Knopf für den dritten Stock. Seine Gedanken wanderten zu der Zeit zurück.
Damals war er ein richtiger Arschkriecher gewesen, ein junger Detective Constable, der es jedem recht machen wollte. Kentish Town CID, die Wache war keine fünf Minuten zu Fuß von seiner jetzigen Wohnung entfernt.
Die Lifttüren schlossen sich einfach nicht, also drückte Thorne noch mal auf den Knopf. Er schämte sich, dass er sich an jedes Detail eines blauen Anzugs erinnern konnte, den er damals trug, und das Kennzeichen des Autos parat hatte, das er fuhr, aber nicht die Namen von Raymond Garveys Opfern.
Endlich schloss sich die Tür.
Nicht einen einzigen …
Er tröstete sich damit, dass das immer so war, vor allem bei Serienmorden. Von wie vielen von Dennis Nilsens fünfzehn Opfern kannte er den Namen? Oder von Colin Irelands fünf Opfern? Konnte er den Namen eines der über zweihundert Menschen nennen, die Harold Shipman umgebracht hatte?
Er verließ den Lift, ging den Gang hinunter, an der Einsatzzentrale vorbei, zu dem kleinen Büro, das er sich mit Yvonne Kitson teilte.
Bei seinen eigenen Fällen war das natürlich anders. Da konnte er sich an jeden Namen, jedes Gesicht erinnern, jedes »Vorher-« und jedes »Nachher-«Foto. Der Name der Mutter von Emily Walker war ihm kein Begriff gewesen, was er hätte sein sollen, aber ihren Namen würde er nie vergessen, so viel stand fest.
Kitson hatte ihm eine Nachricht über einen Fall auf den Schreibtisch gelegt, der nächste Woche vor Gericht kam und für den noch Beweismaterial gesammelt werden musste. Thorne schob die Notiz beiseite und zog die Tastatur heran. Den ganzen Weg von Colindale bis hierher hatte er sich gefragt, ob die Unterlagen des Garvey-Falls archiviert waren. Dabei gab es eine viel schnellere Recherchemethode.
Thorne drückte ein paar Tasten und rief Google auf. Dann gab er »Raymond Garvey« ein.
Er erhielt über dreihundertfünfzigtausend Treffer.
Er scrollte an den ersten Links vorbei, ignorierte Wikipedia und eine Seite namens serialkiller.com , bis er eine Seite fand, die weder eine Zeitschrift bewarb noch eine Fernsehsendung über wahre Kriminalfälle im Satelliten-TV und die ihm einigermaßen zuverlässig erschien. Er sah sich die Namensliste an. Susan Sharpe, vierundvierzig Jahre, war Nummer vier. Sie war auf dem Heimweg vom Sport angegriffen
und totgeschlagen worden wie die anderen Opfer. Man hatte sie am Kanalufer in Kensal Green gefunden, zwischen den riesigen Mausoleen und Grabmälern des berühmten Friedhofs. Thorne klickte den Namen an, und ein Foto wurde angezeigt. Nicht dass eine Ähnlichkeit mit Emily Walker
Weitere Kostenlose Bücher